Ein Freund erzählte mir neulich, dass er auf Facebook jede Menge »Likes« bekommen hat für seinen Beitrag: »Ich liebe den Oktober – aber nicht im August« … es ist wahr, wettermäßig scheint dieser August nicht wirklich Freunde des Hochsommers überzeugen zu können – andererseits ist das Wetter, sofern kein Regen von oben kommt, fast ideal für ausgedehnte Touren, hält sich die Gefahr des Sonnenstichs bzw. der frühzeitigen Erschöpfung doch in Grenzen. Das kenne ich in diesem Jahr auch schon anders …
Nach meiner Rennsteig-Tour vor gut einer Woche fiel die Bilanz zwiespältig aus, Hochstraßen betreffend: Einerseits ein schön zu fahrendes Band auf der Anhöhe, andererseits nichts als Wald und Bäume im Blickfeld. Dennoch bin ich gestern gleich auf die nächste Hochstraße, die auch so heißt: Die Strecke von Gräfendorf nach Roßbach führt über einen Kamm am östlichen Rand des Spessarts und ist mit 16 km sogar in der Länge vergleichbar mit dem Stück Rennsteig (17 km), das ich von Schmiedefeld nach Oberhof gefahren bin. Allerdings gibt es zwei ganz markante Unterschiede, die mich gereizt haben:
- Der Großteil des Anstiegs ist nicht in der langen Anfahrt versteckt (42 km von Würzburg bis Gemünden am Main entlang, weitere 12 km auf der ST2302 bis Gräfendorf entlang der fränkischen Saale – die paar Höhenmeter, die auf diesen 54 km anfallen, sind eher den Bodenwellen geschuldet, aber wirklich »sammeln« kann man hier nicht viel), sondern in Gräfendorf muss auf der MSP17, die nach Burgsinn führt, zuerst ordentlich geklettert werden (12% auf ca. 2 Kilometern), bis oben im Wald die Steigungen wieder etwas gemäßigter werden und teilweise sogar eben gefahren werden kann.
- Die Strecke ist nur zur Hälfte geteert, denn die »Hochstraße« ist auch nur etwa zur Hälfte mit der MSP17 identisch (möglicherweise sogar erst oben im Wald ab der Hermannseiche/Burgsinner Kuppe) – diese biegt dann links ab, nach Burgsinn im Westen hinab ins Sinntal, während die Hochstraße geradeaus nach Norden weiterführt bis Roßbach – und zwar auf Schotter, wenn auch als ausgewiesener Radweg (was ja nicht viel heißen muss, die Qualität des Belags betreffend).
Warum ich diese 16 km Hochstraße unbedingt fahren wollte? Auch dafür gibt es Gründe:
- Banal: Ich habe in letzter Zeit verstärkt Geschmack am »Klettern« gefunden – weit entfernt davon, irgendwelche aberwitzigen Geschwindigkeiten bergauf zu entwickeln (hey: ich stemme da immer noch über 90 kg Lebendgewicht hoch!), merke ich jedoch, dass mich ewiges Fahren auf der Geraden leicht nervt, vor allem am Ende von Touren, wenn die Kilometer nur noch weggefahren werden; wer jedoch bergauf fährt, bekommt i.d.R. auch zur Belohnung eine ordentliche Abfahrt geboten …
- Historisch: Die Hochstraße bei Gräfendorf läuft teilweise parallel zur Strecke 46 (»Das längste bayerische Denkmal«), einem Autobahnabschnitt, dessen Bau während dem Zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde (obwohl weite Teile der Trasse und Bauwerke wie Brücken schon in Arbeit bzw. fertig waren) und der nach dem Krieg aufgegeben wurde zugunsten der weiter westlich verlaufenden heutigen A7. Interessanter ist es sicher, auf der Trasse selbst zu wandern, aber ein paar der erhaltenen Bauwerke kann man auch auf dieser Rennradtour sehen.
- Persönlich: Irgendwann Mitte der 1970er Jahre hat die Mutter eines Freundes uns beide abends mit nach Burgsinn genommen, mit dem Auto von Waldfenster kommend und die kürzeste erlaubte Route nehmend – das ging damals über Teerstraßen ebenso wie auf Schotterwegen durch den Wald (Waldfenster–Oehrberg oder eben Roßbach–Burgsinn, letztere heute nicht mehr für den Autoverkehr freigegeben). Ich erinnere mich nur sehr, sehr dunkel an diesen Abend – eigentlich nur an die ewig lange Nachtfahrt durch dunkle Wälder auf Rumpelpisten: Eine unheimliche Fahrt, und ich war sowieso ein eher ängstliches Kind … nachts zumindest! Also für mich nach all den Jahren eine gute Gelegenheit, die Dinge bei Tage zu betrachten …
Ich muss der Vollständigkeit halber erwähnen, dass mit Anfahrt und Weiter- bzw. Heimfahrt die ganze Tour wieder eine Tagestour wurde mit 180 km, also ist die Überschrift natürlich etwas reißerisch, denn der beworbene Abschnitt betrug gerade mal 10% der Gesamtstrecke.

Obwohl ich schon um 6.30 Uhr aufgestanden bin, komme ich erst gegen 8 Uhr los – die nassen Straßen haben mich etwas länger am Frühstückstisch sitzen lassen. Hier: Talavera in Würzburg (oben am Berg die »Steinburg«, über die ich später zurückkommen werden), Wechsel auf den Mainradweg Richtung Gemünden – alles noch nass …

Hinter Karlstadt wechsle ich über den Main – und ärgere mich, kaum auf dem Radweg angekommen, schon wieder über die hier zuständige Straßenmeisterei: Eine dicke Lage mit frischem rotem Split! Was auf Autostraßen ja ganz gut funktionieren mag (warmer Teer, Split drauf, fährt sich fest), ist auf Radwegen m.E. völlig deplatziert: Radfahrer verfügen weder über das Gewicht noch die Reifenbreite, um hier mehr zustande zu bringen, als Bahnen in den Split zu pflügen – dafür fahren sie aber nur mit zwei Rädern, müssen also ganz anders balancieren als Autofahrer. Eine Scheiß-Idee, das! Aber in drei Jahre ist alles festgefahren bzw. aus dem Weg geschoben …

Zwischen Gambach und Wernfeld überhole ich zwei Radler, die ich schon eine ganze Weile im Blickfeld hatte und die leicht erschrecken, als ich mich mit einem »Achtung, bitte« bemerkbar mache. Komisch: Selbst wenn ich alleine fahre, schaue ich mich regelmäßig um, um zu schauen, was hinter mir so passiert – gehört zum Vorwärtsfahren dazu. Erst recht, wenn man die ganze Bahn belegt …

Zweites Frühstück in Gemünden, hochverdient nach 46 km mit einem Schnitt von 28,5 km/h – und dabei fand ich das Tempo eigentlich gemütlich: Einradeln halt, für das kommende Klettern.

Nachdem vor Schonderfeld schonmal rechts ein Feldweg unter einer mit Bäumen bewachsenen Brücke hindurch führt, taucht hinter Schonderfeld rechts neben der Straße das erste deutlich sichtbare Zeugnis der Strecke 46 auf: Ein fertig gestellter Brückenpfeiler der nicht vorhandenen Talbrücke.

Unter Aufsicht des Deutschen Alpenvereins wird hier auch geklettert: » Der Pfeiler bietet ca. 30 Routen in den Schwierigkeitsgraden 3 – 9 nach UIAA–Skala«. Rechts dahinter der Gumenberg (365 m).

Kaum ist der Pfeiler aus dem Blickfeld verschwunden, kommt auch schon Gräfendorf – in der Ortsmitte gehts links ab, Richtung Burgsinn ,…

Volltreffer: Vor mir ein altes Männchen mit einem vermutlich ebenso alten Gespann aus Traktor und Wagen. Obwohl ich probelmlos ranfahren und – theoretisch – mich anhängen könnte, lasse ich mich zurückfallen: Meine Güte, der haut eine Wolke Abgase raus! Ich überlege sogar, erstmal stehen zu bleiben und zu warten – klar, Überholen wäre auch eine Option, aber ich kenne den Anstieg (und seine Länge) nicht wirklich und will mich nicht unnötig verausgaben schon auf den ersten Metern.

Ein weiser Entschluss, denn es geht doch eine ganze Weile bergauf, und zwar teilweise recht stramm, so dass ich oft in die kleinste Übersetzung (34:30) wechsle.

Oben dann, wie vermutet, ein langes Band, leichtes Auf und (eher seltenes) Ab, dazu Bäume, Bäume, Bäume …

Bevor ich mir den Traktor schnappen kann, biegt er ab auf einen Waldweg … irgendwann kommt auch mein Abzweig in Sichtweite …

… nämlich an der 90°-Kurve, an der die MSP17 wieder ins Tal hinab führt, die Hochstraße aber geradeaus weiter geht, ab jetzt auf Schotterpiste.

Links, kurz nach der Kurve: eine fertige Brücke der Strecke 46, die von der Straße aus nicht weiter ungewöhnlich wirkt … direkt am Beginn des Schotterwegs findet sich auch ein Parkplatz für Wanderwillige und eine informative Tafel (rechts).

Jetzt habe ich doch noch ein wenig gesucht und ein paar Fotos vom Mai 2012 gefunden – da waren wir schon mal mit dem Auto hier und sind ein wenig im Wald gewandert, nachdem wir die Brücke einer genauen Inspektion unterzogen haben. Neben der Straße sieht man schon, dass die Brücke an beiden Enden ins Nirgendwo (resp. Unterholz führt), …

… so dass ich auf der Mitte wieder recht zügig vorankomme. Dennoch: Vorsicht – und ich bin froh, dass die Reifen (Schwalbe Lugano) das alles anstandslos mitmachen. Einen der Gipfel hier, die Eule (mit 490 m sogar einer der höheren), überfahre ich direkt, …

Endlich: Roßbach – die letzten groben Schlaglöcher, die erst hier am Waldrand auftauchen, lassen sich gut umfahren, aber …

… zuerst muss ich anhalten und den Ausblick genießen. Nicht nur nach der langen Waldstrecke tut etwas Weite wieder gut, mich fasziniert auch, dass ich hier bekanntes Terrain aus einer ungewohnten, neuen Perspektive erblicke. Blickfang hier ist der Hagküppel (548 m), der westlich von Modlos liegt.

Mit dem Ortsschild kommt der Teer zurück – wie gesagt, offiziell darf die Straße im Wald nicht mehr mit KFZ befahren werden, die Ortsschilder zeugen noch aus der Zeit, als das noch erlaubt war.

Flotte Fahrt jetzt, eine Wohltat nach dem Kriechgang im Wald – selbst kleinste Nebenstraßen kommen mir wie der pure Luxus vor, …

Detter – auch hier rausche ich durch, als aber am Ortsausgang »Heiligkreuz« ausgeschildert ist, kehre ich doch um und nehme den Abzweig nach Modlos.

Von Detter nach Modlos auf der KG27 – schon auf der Hochstraße (MSP17) waren immer wieder Motorradfahrergruppen unterwegs, hier wieder eine im Hintergrund, aber der Oldtimer im Vordergrund ist fotogener. Trotzdem: Ich habe inzwischen so ziemlich alles Interesse an (und Verständnis für) motorisiertem Rumgegurke in der Landschaft verloren …

Das Panorama, das sich auf der KG32 hinter Modlos und vor Oberleichtersbach bietet (Bildmitte, von rechts):
Kreßberg bei Schondra, im Vordergrund Lindenstumpf, Schildecker Berg und Mettermich, hinter dem Lindenstumpf die Platzer Kuppe, die Schwarzen Berge …

Ich fahre von Oberleichtersbach ein Stück B27 nach Unterleichtersbach, dann über Einraffshof und Schondra Richtung Geroda. Hinter Schondra unterfahre ich die A7, die anstatt der Strecke 46 gebaut wurde.

In Geroda habe ich die Wahl: der B286 folgen und die längere Strecke über die gemäßigteren Serpentinen nehmen, oder links abbiegen und die alte, kürzere, aber auch steilere Straße nach Platz nehmen, den Platzer Berg hinauf. Ich wähle …

… die kürzere, steilere Variante: Nochmal richtig arbeiten, bevor ich bei meinen Eltern in Waldfenster auf ein Mittagessen vorbeischaue …

Gar nicht so schlimm, wie ich gedacht habe: Nach einer längeren Rechtskurve tauchen hinter der Kuppe schon die ersten Dächer von Platz auf

Waldfenster. Ankunft im Elternhaus um 12.40 Uhr, ich esse zu Mittag und gönne mir eine Pause bis 14 Uhr – will ja schließlich auch ein paar Takte mit meinen Eltern plaudern.

Kurz nach 14 Uhr: on the road again, B286 zu Waldfenster hinaus Richtung Bad Kissingen, aber schon nach wenigen Kilometern biege ich auf die ST2290 nach Lauter, …

In Thulba wieder Wechsel auf einen meiner liebsten Radwege: Thulbatalradweg, absolut entspannt durchziehen in schöner Kulisse.

Blick auf Untererthal, dahinter der Sodenberg (Mitte). Durch das Thulbatal folgt mir schon die ganze Zeit ein Mountainbiker, der aber nicht rankommt – er hat den gleichen Gegenwind wie ich.

Inzwischen ist es so warm, dass ich meine Windjacke, die ich doch den ganzen Tag anhatte, ausziehe – auch auf die Gefahr hin, dass mich der Mountainbiker jetzt einholt. Kaum habe ich die Jacke verstaut, da höre ich schon das vertraute Rauschen der Stollenreifen, und der Mountainbiker zieht vorbei, …

… ich sofort hinterher, aber zuerst muss ich noch an einem rüstigen Senior vorbei. Just in diesem Moment kommen zwei Traktoren entgegen, der erste so breit, dass der Senior ins Gras ausweicht und … stehenbleibt! Verdammt, also muss ich auch stehenbleiben, und da fährt der Mountainbiker auf Nimmerwiedersehen davon.

Egal, wäre ja nur eine kleine sportliche Einlage gewesen – ich konzentriere mich auf den nächsten Anstieg, die ST2294 hoch nach Lager Hammelburg. Die Ruine Saaleck, an der ich links vorbei muss, sehe ich vom Radweg aus ebenso wie von der Brücke über die Saale (B27), nachdem ich durch Hammelburg durch bin.

Die Abfahrt von Lager Hammelburg hinab geht immer recht flott, der Aufstieg dauert etwas länger, aber auch hier lohnt ein Verweilen und ein Blick nach links …

… ins Saaletal bei Hammelburg, Blickrichtung Nordost: Links Hammelburg, in der Mitte die Erdfunkstelle, dahinter Westheim, Langendorf und Fuchsstadt, die Ruine der Trimburg und, unter der Leitplanke rechts noch zu erspähen, ein paar Dächer von Pfaffenhausen.

In Arnstein: Kurze Pause im Eis-Café Dolomiti (rechts) auf einen Eiskaffee und eine Zigarette um 16.15 Uhr – ich liege super in der Zeit. Danach ab durchs ruhigere Tal (rechts), bevor ich auf der Anhöhe oberhalb von Arnstein wieder auf die ST2294 wechsle.

Ich krame ein wenig auf meiner Festplatte: links das Bild von gestern, rechts vom 5. April diesen Jahres, als alles noch etwas kahler war, aber doch schon vereinzelt voller Blüten.

Gramschatz – ich überlege noch: Weiter auf der ST2294 durch den Gramschatzer Wald nach Rimpar, oder doch rechts über den Ochsengrund nach Güntersleben?

In der Stadt verwandle ich mich schnell wieder vom Touren- zum Alltagsradler an den gewohnten Ampeln, und bei der Einfahrt in die Valentin-Becker-Straße kommen mir die Häuserschluchten plötzlich einengend und fast bedrohlich vor. Man kann gegen Hochstraßen im Wald sagen, was man will: Es atmet sich freier dort …
Statistik:
179,46 Tageskilometer
7:08:49 h reine Fahrzeit
25,11 km/h Durchschnitt
69,23 km/h max.
75 UPM Durchschnitt
1.723 m Tageshöhe
9,6 Hm/km