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Würzburg–Berlin – 554 km in anderthalb Tagen

Anfang Mai als 2,5-Tagestour geplant, dann wegen einer besseren Gelegenheit zum Radfahren verschoben: Die Fahrt von Würzburg nach Berlin mit dem Rad. Aufgrund der Verschiebung dann eine andere Idee: Die Tour als Brevet fahren, knapp 600 km Distanz nonstop. Bei (m)einem möglichen Tagespensum von knapp 300 km (schon mehrmals gefahren) eigentlich in zwei Tagen machbar, plus eine Nacht dazwischen, die dann eben mal »durchgemacht« wird. »Durchmachen« kenne ich ja, wie vermutlich viele andere auch, aus viel niedereren Beweggründen und in viel schlechterer körperlicher Verfassung – aber auf dem Rad, sofern man kein Rennen fährt, sollte das doch kein Problem sein. War es auch nicht …

Ich habe nicht wirklich viel Zeit mit der Vorbereitung zugebracht: etwas Kartenstudium (attraktive Radwege), etwas Routenplanung am Rechner (Alternativen, Höhenmeter, bessere Distanzeinschätzung), ein wenig mentales Training (»Willst Du?« »Ja!« »Gut.« – solche kleinen Selbstgespräche im Kopf reichen schon aus …) immer mal wieder, aber ansonsten: Entspannung pur! Als Ankunftszeit ließ ich bei meinen Gastgebern Jule und Franz Sonntag oder Montag Abend offen, verfügte also über ein zusätzliches 24h-Polster, das mir den Stress vom Hals hielt, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Zwischenziel sein zu müssen – jederzeit hätte ich eine Auszeit nehmen können, ein Hotelzimmer, eine Pause … genau dieser fehlende Stress ließ mich dann relativ unverzagt die Strecke wegradeln. Das eigentliche Kernstück fiel jedoch leider weg, wäre aber sicher sehr schöngewesen: der Saaleradweg. Der fiel nun leider in die Nachstunden, von Rudolstadt bis Weißenfels war es zapfenduster, das meiste fuhr ich folglich auf der Bundesstraße. Der kurze Bericht anhand der SMS, die ich meiner Frau bei jeder kleinen Pause schickte als Hilfe (v.a. für mich selbst) zur Positionsbestimmung …

Am 31. Juli um 9.40 Uhr starte ich an der heimischen Garage. Es ist schon warm draussen, kurz/kurz, die Windjacken werde ich vor Abend/Nacht nicht brauchen. 27° Höchsttemperatur sind angesagt, dazu etwas Wolken, aber kein Regen. Fast ideales Wetter – jedoch nieselt es bei Wipfeld, bis Schweinfurt bleiben Straßen und Radwege nass, danach ist alles wieder trocken und bleibt so. Schon in Gerbrunn, auf dem ersten Hügel oben, bemerkte ich, dass ich mein Schloss vergessen habe – und beschloß, unterwegs ein neues zu kaufen, statt zurückzufahren. In Bergrheinfeld (vor Schweinfurt) finde ich dann auch ein Fahrradgeschäft, das auf dem Weg liegt …

Diesmal neu: Pulver, um mir meine eigenen isotonischen Drinks zu mischen unterwegs – 5 Portionen in der Flasche, eine (von 2) Trinkflaschen ist bereits gefült (die andere mit Wasser pur).

Diesmal neu: Pulver, um mir meine eigenen isotonischen Drinks zu mischen unterwegs – 5 Portionen in der Flasche, eine (von 2) Trinkflaschen ist bereits gefült (die andere mit Wasser pur).

Bedeckter Himmel am Morgen, gut zu fahren, angenehme Temperaturen.

Bedeckter Himmel am Morgen, gut zu fahren, angenehme Temperaturen.

12:06:53 – KM 057 – Brotzeit hinter Schonungen. Alles bestens.

Mein üblicher Pausenplatz im Tal zwischen Schonungen und Marktsteinach.

Mein üblicher Pausenplatz im Tal zwischen Schonungen und Marktsteinach.

15:04:04 – KM 116 – Bad Rodach. Party am Marktplatz (Schlager) – Erholung geht anders … 😉

Seit Hofheim neue Strecke, immer mal wieder klettern … hinter Bad Rodach schaue ich dann doch mal aufs Thermometer: 29,6° – nun wird das langsam warm.

Die Heldburg bei Bad Colberg-Heldburg.

Die Heldburg bei Bad Colberg-Heldburg.

Blick nach rechts, kurz vor Veilsdorf: »Baustelle« für den Nachmittag – der Thüringer Wald.

Blick nach rechts, kurz vor Veilsdorf: »Baustelle« für den Nachmittag – der Thüringer Wald.

Werratal und THüringer Wald.

Werratal und Thüringer Wald.

17:38:09 – KM 150 – Werraquelle. 12% Steigung die letzten 5 km – leck, sind die Beine jetzt wie Gummi … 😉

Von Eisfeld zur Werra-Quelle zieht es sich, 5–6 km bei 10% Steigung, …

Von Eisfeld zur Werra-Quelle zieht es sich, 5–6 km bei 10% Steigung, …

… manchmal auch 12%.

… manchmal auch 12%.

Endlich oben an der Werraquelle.

Endlich oben an der Werraquelle.

Die gefasste Quelle, lecker kaltes Trinkwasser.

Die gefasste Quelle, lecker kaltes Trinkwasser.

Erstaunlich, wie viele Motorradfahrer hier zur Quelle hochfahren – nur, um kurz vor der Quelle wieder umzudrehen! Mir kam die Quelle wie ein kleines Stück Paradies vor, aber ich bin der einzige hier, sogar die beiden MTB-Fahrer fahren einfach vorbei …
… und bei der Weiterfahrt sehe ich auch den Grund: keine 100 m oberhalb der Quelle beginnt schon die Ortschaft (Siegmundsburg) mit Kneipen, Biergärten etc.

Viadukt in Wallendorf. Nun bin ich im Schiefergebirge.

Viadukt in Wallendorf. Nun bin ich im Schiefergebirge.

Vor der Abfahrt nach Saalfeld der Hinweis auf 10% Gefälle, 5 Kilometer lang (Yippieh, was für eine geile Abfahrt!).

Vor der Abfahrt nach Saalfeld der Hinweis auf 10% Gefälle, 5 Kilometer lang (Yippieh, was für eine geile Abfahrt!).

20:02:47 – KM 190 – Saalfeld. Endlich Schluss mit Thüringer Wald: 2175 Höhenmeter bisher, ich brauche echt keine mehr … 😉

Lecker Pizza in Saalfeld plus 2 alkoholfreie Hefeweizen bringen die Lebensgeister wieder zurück.

Lecker Pizza in Saalfeld plus 2 alkoholfreie Hefeweizen bringen die Lebensgeister wieder zurück.

Nach der wohlverdienten Abendmahlzeit geht es weiter, allerdings wird es nun doch schnell dunkel, der Saaleradweg ist praktisch gar nicht fahrbar bei Nacht: keine Markierungen auf dem Weg, keine Pfosten, die reflektieren, kein Begegnungsverkehr – Finsternis. Nach ein paar Dörfern und mehr oder weniger Blindflug wechsle ich in Zeutsch auf die B 88.

00:12:21 – KM 245 – Jena. Saaleradweg ist nicht fahrbar bei Nacht, B 88 ist recht entspannt. Ich sehe was – und werde gesehen. 😉

Tja, was ich auch lerne: Das Saaletal heißt so, weil es ein Tal ist – fährt man nicht im Tal, dann muss man klettern …

2:14:13 – KM 279 – Naumburg. Sehr pittoreske Altstadt.

Unheimliche Geräusche, während ich da sitze und pausiere. Irgendwann dämmert es mir: da schnarcht jemand bei offenem Fenster 😉

4:29:25 – KM 302 – hinter Weißenfels. Bin schlapp und mache 1h Pause in einem Bushäuschen mit Bank.

Zum ersten Mal die 3 vorne auf dem Tacho (bei den Tageskilometern)! Eher aus Vernunftgründen versuche ich, eine kleine Pause einzulegen – ich bin an so vielen geschützten Bushäuschen vorbeigekommen, also suche ich mir nach Weißenfels ein geeignetes. Gegen 4:40 Uhr – es dämmert schon wieder – werde ich fündig, aber die Stunde, die ich mir per Wecker gönnen wollte, wird zur halben: Ich wache wieder auf, inzwischen ist es fast hell, sortiere mich ein wenig und fahre weiter.

Mein »Hotel« hinter Weißenfels (Reichardtswerben).

Mein »Hotel« hinter Weißenfels (Reichardtswerben).

7:49:38 – KM 338 – Halle. Seit 6 wieder unterwegs, aber zäh: so schlechte Wege und Straßen: unglaublich!

Die Laune ist nach dem Kurzschlaf nur kurzzeitig besser: Um und durch Leuna muss ich umständliche Umwege auf schlechtem Belag fahren, aber Halle toppt die miesen Beläge noch – zäh krieche ich ins Zentrum, finde dort eine Bäckerei und frühstücke. Dann geht es weiter Richtung Bitterfeld – noch ein kurzer Versuch, den beschilderten Radwegen zu folgen, aber nach Durchqueren einer Riesenpfütze und Dahinschleichen auf Feldwegen ist für mich Schluss mit lustig: Straße, sonst nichts mehr – sonst bin ich ja in einer Woche noch nicht in Berlin …

10:34:38 – KM 375 – Bitterfeld. Bockwurst mit Senf & Radler …

Hinter Bitterfeld geht es auf bzw. neben der B 100 weiter – lässt sich gut fahren, kein schlechtes Tempo, aber eine Streckensperrung mit Umleitung (der ich natürlich zuerst nicht folgen will) kosten Zeit und Kilometer – und Nerven.

12:56:09 – KM 417 – Gräfenheinichen. Baustelle, Umleitung, fast 20 km extra – das geht so zäh hier in Ostdeutschland: ICH HASSE ES!

Die 4 vorne an den Tageskilometern – es wird. Und an der B 100 lang geht es nun flott voran. So muss es laufen!

14:12:08 – KM 444 – Lutherstadt Wittenberg. 27 km in 50 Minuten, aber meine Akkus gehen langsam zur Neige.

Ordentlich Tempo gemacht auf dem letzten Teilstück – aber ob ich das halten kann?

15:44:48 – KM 475 – Treuenbrietzen. Sitze am Brunnen von Sabinchen … Noch 39 km bis Potsdam + Restarbeiten 😉

Ich kann! Nun auf bzw. neben der B 2 weiter, eine schnurgerade Linie auf der Karte, für Abwechslung sorgen hier lediglich die leichten Wellen der Topografie. Aber geiles Tempo, der Schnitt liegt derzeit mehr bei 30 als bei 25 km/h. Da geht was! In Treuenbrietzen wieder Pause.

»Sabinchen war ein Frauenzimmer …« – Brunnen in Treuenbrietzen.

»Sabinchen war ein Frauenzimmer …« – Brunnen in Treuenbrietzen.

17:48:01 – KM 513 – Potsdam. Meinen Arsch möchtest Du nicht haben, wetten? … 😉

Von Beelitz bis Potsdam war es doch recht zäh – schlechter Belag auf den Radwegen, schlechte Beschilderung, einige Hügel, die die Beine nun merken. Aber hey: Die 5 steht seit einiger Zeit auf dem Tageskilometer vorne. Fühlt sich gut an, besser als mein Hintern jedenfalls … 😉

In Potsdam fühle ich mich eigentlich am Ziel – bis ich realisiere, dass es ja immer noch mindestens 30, eher 40 km bis nach Berlin, Prenzlauer Berg sind. Ich hänge mich an ein Pärchen, das weitgehend meine Strecke fährt (bis Tempelhofer Feld etwa), so muss ich nicht ständig stoppen und schauen. Wegradeln, wegradeln, wegradeln – bald ist es geschafft!

20:26:52 – KM 554 – Touchdown bei Franz. Alles super! Bussi.

Wie geil ist das denn? 554 Kilometer mit dem Renner runtergerissen, in anderthalb Tagen von Würzburg nach Berlin geradelt! Ja, das kann ich erstmal so stehen lassen. Ob ich tatsächlich ein Randonneurs-Typ bin, weiss ich nicht – aber lange Strecken machen schon Spaß. Allerdings muss ich beim nächsten Mal das Nachtfahren ehrlicher angehen (da gibt es ja nichts zu sehen), und mir doch mal Gedanken über ein Navi machen. Solange man allerdings große Straßen fährt, ist die Orientierung kein Problem. Die nächsten Tage freue ich mich auf zu-Fuß-Gehen, bevor mich am Mittwoch der Zug wieder zurück nach Würzburg bringt.

Statistik:

554 Kilometer gesamt
ca. 24,5 h reine Fahrzeit (ca. 34,5 Stunden gesamt unterwegs)
22,5 km/h Schnitt
3.786 Höhenmeter gesamt

Tour bei komoot ansehen …

Standard

15 Gedanken zu “Würzburg–Berlin – 554 km in anderthalb Tagen

    • Hi Daniel, das ISO-Pulver wirkt sicher keine Wunder, schadet aber auch nicht. Da ich immer viel Substanz nach aussen transportiere – nicht nur Wasser, sondern auch Salze etc. –, versuche ich damit einfach ein wenig gegenzuarbeiten. Aber ich merke, dass ich generell immer weniger Lust habe, aus meinen schon etwas älteren Plastikflaschen zu trinken – vielleicht mal ein paar neue Flaschen? Alu?
      Jedenfalls kaufe ich zumindest keine isotonischen Limos mehr an Tankstellen, so gut ist mein Selbergemixtes allemal (nur leider nicht so kühl wie frisch aus der Tankstelle).

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      • Daniel Hagmann schreibt:

        Ja, das leidige Plastik… Alu ist gesundheitlich auch nicht unumstritten. Edelstahl soll -außer bei Nickel-Allergie- neben Glas am neutralsten sein. Ich traue mich noch nicht, weil man feste Flaschen nicht so ausquetschen kann. Ob da die Flüssigkeit genauso schnell fließen kann? Wäre ja nicht unwichtig, damit man sich nicht zwischen zwei Atemzügen verschluckt… Elite bietet sowohl eine Alu, als auch eine Edelstahl-Flasche an: Modell syssa. Klean Kanteen bist auch einen Sport-Verschluss, dessen Evolution (mittlerweile Version 3.0) weißt meiner Meinung nach aber auf die Probleme der festen Flaschen hin… Viel Erfolg bei der Findung des geeigneten Materials!

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      • Daniel Hagmann schreibt:

        Sodala! Nur zur Vervollständigung: sportscap 3.0 von Klean Kanteen funktioniert einwandfrei! Ich fahre also ab sofort auf Stahl ab.

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  1. Ich falle auf die Knie. Unglaubliche Leistung und die noch so supercool abgespult. Ganz großes Kino. Herzlichen Glückwunsch!
    Und danke für die Erinnerungen an Halle und seine Straßen. Wollen wir mal eine Spendenfahrt machen, um für sie Geld für Radasphalt zu sammeln?

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    • Das hätte ja ein Motto für deine Flüße-Rundfahrt sein können … aber ich fürchte, so viel Geld können wir gar nicht erradeln, wie dort benötigt würde. Ein echtes Trauerspiel war das, am meisten haben die Hände und Handgelenke gelitten, da helfen auch weiches Lenkerband und Röckl-Handschuhe irgendwann nicht mehr weiter. Das nächste Mal auf dieser Strecke: Leipzig. Und um Halle vorerst einen großen Bogen.

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    • Ich darfs gar nicht schreiben: Sitze gerade im Dreimühlenviertel in der Pizzeria – vor einer Stunde mit dem Zug gekommen, morgen mit dem Rad wieder zurück nach Würzburg … 😉

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      • Also doch Randonneurs-Typ? Oder ist’s jetzt einfach nur noch ein Katzensprung im Vergleich 😉 Gute Fahrt! Und herzlichen Glückwunsch zu den 500plus!

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        • München – Würzburg muss einfach noch mal sein heuer, die Option stand schon vor der Berlinfahrt, zu zweit und heute bei humaner Temperatur. Im Vergleich nur halbe km-Zahl etwa, quasi Abradeln … aber das ist ja eh fast alles nun … 😀

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  2. VeloKick schreibt:

    Hallo Jochen,

    Du bist ja wahnsinnig, eine unglaubliche Leistung, meinen größten Respekt dafür!

    Schon die Hälfte würde mich maximal überfordern, insbesondere die Füße, da brennen bei längeren Ausfahrten die Sohlen gerne mal, wo die Beine eigentlich noch könnten.

    Danke für Deinen tollen Bericht.

    Gruß

    Martin

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