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Mein Candy-Bericht: Tag 2

Weiter geht es mit meinem Bericht vom 2017er Candy B. Graveller – der erste Teil findet sich hier.

Samstag, 7 Uhr, 105 km

Kurz nach 7 Uhr sind alle fertig mit Zusammenpacken, es geht weiter. Obwohl ich glaube, nicht geschlafen zu haben in der Nacht. Auch bin ich mit der Zahl der Kilometer noch gar nicht zufrieden – gute 100 erst, von 650 … das kann ja noch was werden.

So sah das »Hotel« der ersten Nacht aus …

Kannte ich schon seit Jahren nicht mehr: Schieben … und den Spruch »Lieber gut geschoben als schlecht gekurbelt« habe ich öfters gehört während der Tour … 😉

Waldwege, Singletrails, Schieben, dann eine geile Abfahrt hinein in ein Dorf, Wirtheim, wo wir beim Bäcker Halt machen und frühstücken – Süßzeug und herrlicher schwarzer Kaffee (mittlerweile, nach all den Schäumereien, stehe ich ja wieder auf guten, starken Filterkaffee pur). Es ist 8.40 Uhr, 120 km gefahren – in den letzten anderthalb Stunden also nur 15 km? Oioioi…

Frühstück in Wirtheim

Es geht weiter: Ein wenig entlang der Kinzig (und der A66), dann wieder Wechsel auf Waldwege, klettern, abfahren, wieder Kinzig. Vorbei an Bad Soden-Salmünster, der Kinzigtalsperre (sehr schön!), Stop an der Tankstelle in Steinau, Brötchen, Zigarette, weiter … 10.45 Uhr, 140 km (erst) … Schlüchtern … Neuhof. 13.20 Uhr, 170 km, Pause vor dem örtlichen tegut, Mittagessen (Packungen aus dem Supermarkt), weiter.

Das Schnellrestaurant der Randonneure mit überdachtem Freisitz.

Viel Waldwege, meist Schotter und meist gut zu fahren. Fulda durchqueren wir gegen 15.15 Uhr – Zeit, »wir« vorzustellen.

Wir

Wir sind eine Gruppe von 6–9 Fahrern (plus einer Fahrerin), wobei 2–3 langsamere immer zurückfallen, um dann bei der nächsten Pause wieder aufzuschließen. Den »harten« Kern, der meistens gleiches Tempo fährt, bilden Walter, Thomas, Mario, Dieter, Lutz und ich; Andreas fällt immer zurück (so wie noch einer, dessen Namen ich vergessen habe, weil ich gar nicht mit ihm plaudern konnte), schließt aber bei den Pausen auf; und Jolanta und Uwe fahren meist früher ab, lassen sich dann überholen und stoßen wieder dazu – oder umgekehrt: kommen nach, überholen und warten dann auf uns. Es oszilliert, es gibt auch keine Gruppe in dem Sinn, sie ist qua Reglement (Candy-»Kodex«) ausgeschlossen – aber wir fahren ein ähnliches Tempo in der gleichen Gegend zum gleichen Zeitpunkt, mit dem gleichen Ziel, also fahren wir zusammen. Und je länger das so geht, desto mehr finden wir in einen gemeinsamen Rhythmus. Ab und zu passieren wir andere Candy-Fahrer, die pausieren – ab und zu passieren uns andere Fahrer, während wir pausieren – ab und zu mischen sich Gruppen, vergrößern sich, verkleinern sich. Alles ist im Fluß, und der fließt Richtung Berlin …

Samstag, 18.20 Uhr, 220 km

Point Alpha. Die Gegend bisher war wunderschön, auch schön zu fahren – abgesehen von dem Stück Kolonnenweg zwischen Oberaschenbach und Setzelbach. Das ist einfach immer ein Gerumpel, ich kann diesen Betonplatten überhaupt nichts abgewinnen. Dafür entschädigen die Ausblicke, inzwischen zeigt sich auch immer wieder mal die Sonne. Eine wunderschöne gegend zum Radeln, das Graveln eröffnet ganz neue Möglichkeiten abseits der Asphaltstraßen. Von letztgenannten hätte ich aber gerne ein paar mehr, so langsam steigt meine Nervosität: 220 km gefahren, der zweite Tag fast vorbei, denn alle sind der Meinung, heute lieber früher schlafen zu gehen und morgen früher zu starten. Wir beschließen, im nächsten oder übernächsten Dorf den REWE aufzusuchen, uns zu verproviantieren und dann lieber einen guten Platz zum Chillen (und Übernachten) zu suchen. Aber erstmal in Buttlar was essen … was nicht geht, denn von drei Gasthäusern ist nur noch eines geöffnet, ohne Küche (dafür wird im Gastraum geraucht) – nein, lieber doch nicht. Weiter – aber der Wind am Point Alpha und die folgende Abfahrt haben uns ausgekühlt. Wir ersehnen das baldige Ende des Tages …

Kurze Pause nach Schiebepassage – 17 Uhr, 206 km gefahren. Danke an Dieter für das Foto (ich wollte einfach auch mal im Bilde sein).

Ein Stück Kolonnenweg – ich hasse diese Betonplatten, vor Jahren (2012) bin ich mit Dirk ein Stück Kolonnenweg bei Coburg gefahren, mit den Mountainbikes – und habe eine volle Wasserflasche verloren während dem Gerumpel (ohne es zu merken!). Im Hintergrund kann man den Abraumberg bei Philippsthal erkennen, dort geht es dann ein Stück an der Werra weiter.

Point Alpha erreichen wir gegen 18.20 Uhr.

Trail Magic #2, 19.15 Uhr, 230 km

Immer wenn Du denkst, es geht nicht mehr … nach einem Stück Radweg an den Ulsterwiesen kommen wir durch Pferdsdorf. Und bleiben hängen: Es ist Dorffest, direkt am Radweg, kleines Festzelt, Bier, Bratwürste – dazu ein riesengroßes Feuer. Hastdunichtgesehen stehen die Räder am Rand, eine Horde ausgehungerter und verfrorener Radfahrer flitzt zu Bierausschank und Bratwurstausgabe, um sich dann am Feuer niederzulassen – zur Verwunderung und zum Amusement der zahlenmäßig nur um das 4- bis 5-fache überlegenen Einheimischen. Wir kommen mit ihnen ins Gespräch, erzählen von unserem Vorhaben, von unserer Herkunft etc. Es ist eine so angenehme und gelöste Stimmung – erst Recht, nachdem Dieter charmant, aber bestimmt den örtlichen Vereinsvorsitzenden (welcher Verein war das noch?) innerhalb kürzester Zeit davon überzeugt, dass es das beste für alle sei, wenn wir Radwanderer diese Nacht im kleinen 50-Mann-Festzelt zubringen könnten. Klar, können wir, kein Problem. Ich schicke meiner Frau eine SMS, in der ich etwas von »6er im Lotto« schreibe. Der Abend wird entspannt, und noch überaus lang – am Ende gesellen sich zu den zwei Bratwürsten, die ich gleich nach unserer Ankunft verschlinge, acht Bier (0,33l wohlgemerkt, also nicht sooo viel), und gegen Mitternacht gehe ich angenehm müde zu Bett. Ein hartes Bett – ich habe mir einen Biertisch zusammengeklappt und als Unterlage gewählt, um nicht direkt auf dem kalten Erdboden zu liegen – und ein eiskaltes Bett. Die Einheimischen hatten uns gewarnt, dass das hier an der Ulster ein sehr kaltes Loch sei, aber die Nacht ist wirklich eiskalt und zerstreut die letzten Zweifel, ob mein neuer Schlafsack für solche Temperaturen geeignet ist: nein, ist er definitiv nicht.

Die Graveller fallen über das Dorffest in Pferdsdorf her, da lässt es sich echt aushalten …

… kein Wunder, die Heizung bullert und verbreitet wohlige Wärme.

Und da steht das Zelt für die Nacht – mehr als zehn Radler schlafen drinnen, nur Bernd lässt es sich nicht nehmen, draussen am Feuer zu schlafen, eingewickelt in einem Quilt. Am nächsten Morgen gibt er zu, dass er sich nachts schon gewundert hat, was das immer wieder für Zeug im Gesicht war – Eis im Bart vom gefrorenen Kondenswasser.

Diese Nacht ist deutlich härter, kälter als die vorherige, wieder habe ich das Gefühl, kein Auge geschlossen zu haben, als ich am nächsten Morgen erwache. 6.30 Uhr, und das erste, was ich mache, ist, zum Feuer zu gehen, zuzusehen, wie Walter einen kleinen Rest wieder anfacht, mich erstmal wieder aufzuwärmen, vom Raureif ist die Wiese ganz weiss … so eine Nacht stehe ich kein zweites Mal durch, –2°C, das ist mit meinem Sommerschlafsack echt jenseits von grenzwertig, das wird ungesund.

Teil 3 hier.

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6 Gedanken zu “Mein Candy-Bericht: Tag 2

  1. Danke Jochen, dass Du Dich mit Schreiben ranhältst – es macht Spaß, den Weg nochmal aus einer anderen Perspektive nachzuvollziehen! Und
    Deine Garminhalterung aus einer Speiche hätte ich mir genauer ansehen sollen, interessante Konstruktion…
    Freue mich auf Tag 3!

    Gefällt 2 Personen

  2. Markus schreibt:

    Das ging ja erfreulich zügig mit Teil 2. Danke sehr! 8 Bier, da musst Du doch dauernd raus nachts, und das mit der Radlerhose… Uiuiui…
    Bin gespannt auf die nächsten Tage!

    Gefällt 2 Personen

  3. Ich glaube die kleinen acht Bier haben nur das Flüssigkeitsdefizit ausgeglichen. Sei es ihm gegönnt.
    Am besten kann ich mir die Stelle vorstellen, wie die Horde an Radlern gerade in´s Dorffest einfällt und den Grill plündert.

    Gefällt 1 Person

  4. Pingback: Alone in the dark in Brandenburg – Ride. Breathe. Live.

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