DIY, Ehrgeiz, Fotografie, Gravelbike, Lust, Mensch-Maschine, Tour 100–200 km

Tour: Overnighter solo in der Rhön

Schon bevor Tilman und ich den Hochrhöner abradelten, kam uns bei einem abendlichen Bier in den Sinn, jeden Monat, zumindest in der wärmeren Hälfte des Jahres, einen Overnighter mit dem Rad zu absolvieren. Meine Statistik ist ja bisher ganz gut, dank CBG17 konnte ich schon den April entsprechend abhaken, mit dem Hochrhöner den Mai, fehlte nur noch der Juni – aber der endete am Freitag, 30.6., und so beschloss ich spontan, am Freitagabend doch noch in die Rhön zu radeln, um in einer mir gut bekannten Schutzhütte am Totnansberg den Juni-Overnighter zu machen, alleine.

Eigentlich wollte ich ja rechtzeitig los, um den Abend mit Sonnenuntergang wieder an der Kissinger Hütte zu verbringen – nach dem Overnighter mit Tilman in der kleinen Schutzhütte dort oben war ich mit meiner Frau gleich nochmal dort, an Fronleichnam resp. am Vorabend desselben: Wanderung von Waldfenster zur Kissinger Hütte (12 km) inkl. Übernachtung dortselbst und gemeinsamer Wanderung (zurück) mit Freunden am nächsten Tag (Kissinger Hütte > Schutzhütte > Würzburger Haus > Berghaus Rhön > Platzer Kuppe > Waldfenster = 18 km). Es ist einfach herrlich dort, die Aussicht stimmt (zumindest in die nördliche Hälfte), das Ambiente stimmt, und das Bier, der »Ehrenberger Pilgerstoff«, schmeckt mir mittlerweile weit besser als das Kreuzbergbier. Das Essen sowieso, denn mit dem Kreuzberg-Fastfood habe ich schon geistig abgeschlossen, mit dem Menschentrubel dort ebenso – fast »beschaulich« wirkt da der Abend an der Kissinger Hütte, wo nur noch Radfahrer und Wanderer unterwegs sind, aber nicht die Horden an Auto- und Motorrad-Touristen. Das macht sich in der Atmosphäre vor Ort deutlich – und überaus positiv – bemerkbar.

Zuerst ein paar Bilder von der Wandertour mit meiner Frau an Fronleichnam (14./15.6.):

Ankunft an der Kissinger Hütte in der Abendsonne, gegen 19.40 Uhr – die Hütte liegt auf dem Hochplateau des Feuerbergs und ist dort auch Bergstation für die Skilifte (deren Betrieb, soweit ich weiss, allerdings schon vor einigen Jahren eingestellt wurde).

Die Kissinger Hütte, von der Nordseite her fotografiert (am nächsten Morgen). Sie liegt auf 832 m ü. NHN.

Obwohl wir schon den Nachmittagskaffee bei meinen Eltern genossen hatten, hatte ich sie gedrängt, doch abends noch hoch zur Hütte zu kommen (mit dem Auto), um mit uns zu Abend zu essen und den Tag ausklingen zu lassen beim Sonnenuntergang. Im Hintergrund der Kreuzberg.

Links: Zufällig kam auch mein Onkel Peter (66) vorbei – er fährt regelmäßig mit dem MTB seine Abendrunden in der Rhön, irgendwo zwischen Kreuzberg, Kissinger Hütte und Waldfenster, wo auch er wohnt.
Rechts: Solche Fotos kann man nicht stellen, sie ergeben sich, wenn sich die Sitzbänke aussen etwas geleert haben und nur noch die Genießer der Abendstimmung bleiben … wie dort mein Onkel mit zwei Freunden (zu denen Margit und ich uns, nachdem wir meine Eltern verabschiedet haben, auch noch dazusetzen zum Plaudern).

Ich kam leider zu spät los – ca. 18.30 Uhr war Abfahrt hier in Würzburg –, und deshalb erst gegen 23 Uhr an der Schutzhütte an. Die restlichen drei Kilometer zur Kissinger Hütte konnte ich mir schenken, dort ist spätestens um 22.30 Uhr Schluss. Schlimmer noch als der Regen, der mich ab Oberthulba erst feucht und in Hassenbach dann richtig nass machte, war, dass ich kein Gute-Nacht-Bier mehr bekommen würde. Meinen alten Heimatort Waldfenster samt Elternhaus umfuhr ich vorsätzlich in Sichtweite, um nicht noch später ans Ziel zu kommen (und nicht unverschämterweise nur zwei Flaschen Bier abzugreifen). Gewählte Route war wieder die gefühlt kürzeste: Über Ochsengrund, Arnstein, Lager Hammelburg, Thulbatal nach Hassenbach, dort im Wald nach Waldfenster, von dort nach Platz weiter und dann via Landwirtschaftswege an der Platzer Kuppe vorbei hinauf auf den Totnansberg.

Ich mache immer das gleiche Foto oberhalb von Arnstein (und das nicht wegen der Windräder): Blick über Arnstein/Werntal hinweg in Richtung Rhön …

… denn hier, etwa 20 km von Würzburg entfernt, öffnet sich die Landschaft erstmals und gibt den Blick auf den markanten Höhenzug der Schwarzen Berge frei – mein Ziel, die Schutzhütte, liegt genau da oben …

Kurios: Da ich nun ständig nach Schutzhütten Ausschau halte, fällt mir erstmals diese auf, zwischen Arnstein und Heugrumbach direkt am Radweg – aber beide Ortschaften sind nur wenige Meter entfernt, wer Einsamkeit sucht, ist hier falsch. Wer Schutz sucht, bekommt dafür eine Hütte der gehobenen Klasse inkl. Mülleimer.

In Platz fand ich leider keine offene Wirtschaft mehr vor, aber als ein Auto in einen Hof einbog, fuhr ich einfach hinterher, um dem aussteigenden Fahrer nach einem gegenseitigen »Hallo« breit grinsend folgende Sentenz zu präsentieren: »Ich weiss, das klingt jetzt sehr exotisch, aber: Würden Sie mir zwei Flaschen Bier verkaufen?« Leider grinste er zurück und sagte: »Das würde ich sehr gerne, aber ich habe gar kein Bier im Haus, weil ich kaum Alkohol trinke.« Nach einer kurzen Plaudereinlage – nein, ich mache keine Deutschland-Tour, und nein nein nein, ich fahre jetzt nicht den (steilen) Berg hinunter nach Geroda, um dort mein Glück zu versuchen –, und unter Verzicht auf den Hinweis, dass Bier in erster Linie ja nicht Alkohol, sondern Grundnahrungsmittel sei, machte ich mich auf die letzten (und härtesten) Kilometer: Die asphaltierten Serpentinen hoch zur Platzer Kuppe (die Süden-Weichei-Variante also statt der östlichen Route direkt von Waldfenster her, durch den Wald und eine echte Saurampe hoch, alles ohne Asphalt) und, nach dem Asphalt-Ende, den Schotterweg weiter hoch zur Schutzhütte. Schon leicht im Delirium (feucht, müde, lustlos) verpatzte ich noch den letzten Kilometer und fuhr einen kleinen Schlenker – nicht wild, aber ärgerlich, weil ich im Dunkeln dann doch noch vom Schotter auf Erde/Gras wechseln musste, nach dem vorangegangenen Regen und ohne Helmlampe nicht wirklich prickelnd.

Umso schöner war das Ankommen in der Schutzhütte. Natürlich war sie leer, wie auch der ganze Wald – der abendliche Regen hatte seinen Anteil daran, dass ich keinen späten Heimkehrern mehr begegnete. Die Schutzhütte ist ziemlich groß, auf den Bänken finden liegend vier Erwachsene Platz, auf dem Boden nochmal mindestens vier weitere – aber sie bietet keinerlei Ausblick irgendwohin, da die Kuppe hier vollständig bewaldet ist. Wer sich allerdings am Rauschen der Bäume erfreuen kann, findet hier einen echten akustischen Leckerbissen.

Die Schutzhütte am Totnansberg, am nächsten Morgen fotografiert.

So sah das Nachtlager aus – die Hütte bietet üppig Platz auf den Bänken und am Boden, 10 Erwachsene passen da bequem rein. Das feuchte Klima hier oben färbt das Holz grün (beginnende Vermoosung), die Hütte ist schon etwas älter, aber noch ganz gut in Schuss.

Kleine Details an Giebel und Wand.

Nach kurzem Abstauben einer Bank und grober Festlegung meines Nachtlagers ging ich dann aber zum gemütlichen Teil über: Wohl wissend, dass ich zu spät loskommen würde, hatte ich mir in Würzburg noch drei Käsebrote zubereitet – und den Flachmann halb gefüllt, diesmal mit schottischem Whisky. Mir wäre ein frisches, kühles, perlendes Gerstengebräu ja lieber gewesen (noch lieber: zwei), aber »self-supported« heisst ja auch, mit dem schlimmsten zu rechnen und das beste daraus zu machen – schottischer Whisky ist da keine schlechte Wahl, zwei Zigaretten später war der Flachmann dann auch schon geleert und ich angenehm müde für die Nacht. Ohne Rausch in mir, aber mit viel Rauschen um mich herum.

Der Morgen war ziemlich trüb – wenn es in der Rhön regnet, dann kann es da sehr klamm und ungemütlich sein.

Am Morgen wurde mein Schlaf schon leicht, immer wieder spähte ich hinaus in die aufkommende Dämmerung – leider auch den aufkommenden Nebel, denn wenn es in der Rhön regnet, dann hängt das Wasser gerne noch stundenlang später in der Luft, bevorzugt in den Morgenstunden als Hochnebel. Um 7 Uhr stand ich auf und packte langsam zusammen, aß einen Riegel als kleines Vorfrühstück und machte mich auf zum nicht weit entfernten Würzburger Haus. Aber Fehlanzeige: Um 8 Uhr noch geschlossen. Auch das benachbarte Berghaus Rhön in wenigen Kilometern Entfernung war noch zu (»ab 11 Uhr geöffnet«), und so fuhr ich erstmal weiter.

Blick zurück nach oben: Hochnebel.

Blick nach vorne: Immerhin kann man unter dem Nebel durchfahren.

Meinen Plan, über den Dreistelz zu graveln, verwarf ich aufgrund der Feuchtigkeit bzw. Nässe, die noch überall war. Stattdessen radelte ich von Schildeck nach Oberleichtersbach, fand dort in einer kleinen Bäckerei mit Nussschnecke, belegtem Brötchen und eher dünnem Kaffee fast so etwas wie ein Frühstück, um dann Teil zwei der geplanten Route heimwärts anzugehen: Die Hochstraße zwischen Roßbach und Gräfendorf resp. Burgsinn, die als Schotterpiste auf dem Höhenzug zwischen Schondra- und Sinntal verläuft, teilweise parallel zur Strecke 46 bzw. diese kreuzend – und den Blick auf zwei markante Brückenbauwerke dieser Autobahnruine bietet. Bin ich übrigens schon mal vor drei Jahren andersrum geradelt, mit dem Renner – mit dem Hook und den 35er Reifen macht das aber deutlich mehr Spaß als mit den schmalen 25ern. Das zweite Brückenbauwerk im Wald hatte ich damals wohl übersehen, diesmal fiel es mir gleich ins Auge. Und auch die zwei Hütten am Weg kannte ich schon, aber diesmal riskierte ich einen genaueren Blick: Es sind private Hütten, verschlossen, aber jeweils mit einer frei zugänglichen überdachten Veranda, die sicherlich als »Wetterschutz« auch für zufällig Vorbeikommende zur Verfügung stehen würde im Notfall.

In Roßbach: Klare Ansage – dürfte sich allerdings nicht an Zuzugswillige richten, sondern an solche, die schon hier wohnen. Nachbarschaftsstreit? Egal – wo solch ein Aufwand (bedruckte, wetterfeste Plane) betrieben wird, scheint irgendetwas im Argen zu liegen …

… also nichts wie los hier und auf die Hochstraße (links weg). Es folgen 8 km Schotter, überwiegend vom Feinsten und mit dem Hook fahrbar wie Asphalt mit dem Renner.

Auch hier wieder: Holzauge, sei wachsam! Zwar ist diese Hütte privat (vermutlich Forstbetrieb) und verschlossen, aber sie bietet eine wetterfeste offene Veranda, da könnte man sich auch einmal schützend unterstellen. Aber: Die Hochstraße, siehe vorheriges Bild, ist zwar nur geschottert, aber für KFZ-Verkehr freigegeben – kann also sein, dass hier nachts um 3 Uhr eines durchdonnert.

Die zweite Sensation hier oben im Wald, von Roßbach kommend: Bauwerk 69 (Unterführung »Salusbrunnen«, abseits der eigentlichen Hochstraße, aber gut von dort zu sehen) der Strecke 46, einer Autobahnruine, deren Bauzeit zwischen 1937 und 1940 liegt (Teilabschnitt Bad Brückenau – Würzburg) und von der hier noch fast 50 Bauwerke erhalten sind – nicht alle so groß und deutlich sichtbar, aber einige noch größer als diese Unterführung, auf der auch nur noch Bäume wachsen …

… wie man hier sehen kann: Ansicht oben auf der Brücke/Trasse …

… und Ansicht der beiden angeböschten Widerlager. Fast 80 Jahre nach Bauende hat sich der Wald wieder überall breit gemacht, auf Luftaufnahmen ist – noch – der Trassenverlauf anhand des jüngeren Bewuchses zu erkennen, das lässt aber schon deutlich nach.

Und noch ein Spot, kurz bevor der Schotterweg auf die MSP 17, die asphaltierte Verbindungsstraße zwischen Gräfendorf (Schondratal) und Burgsinn (Sinntal) trifft. Die »Bettlersruh« gehört anscheinend zur Gemeinde Burgsinn, ich muss mal erfahren, wann und wie man sie mieten kann, denn die Anlage ist ganz charmant …

… viel Freifläche, große Feuerstelle, Nebengebäude …

… und ebenfalls eine offene Veranda, für den Schutzsuchenden. Ansonsten würde ich mich aber zurückhalten, wenn man dem Schild am Nebengebäude glauben darf …

Strecke 46 zum zweiten: Wie grotesk es doch anmutet, dass hier seit 1940 durch eine Unterführung gefahren wird …

… die keinerlei Funktion mehr hat. Bauwerk 91 wurde auch nicht angeböscht, man kann herumgehen bzw. die Widerlager betreten – auch hier hat sich der Wald, so gut es eben geht, wieder breit gemacht.

Nach der wie immer kurzen, steilen Abfahrt nach Burgsinn der Wechsel ins Sinntal – damit einhergehend auch Wetterwechsel: einsetzender Nieselregen, der ziemlich schnell zu richtigem Regen wurde, dann wieder nieselnd, aber immer: nass. Nässe von oben, Nässe von unten … damit hatte ich gerechnet, aber erst ein paar Stunden später. So fuhr ich weiter durch den Regen in der Gewissheit, mir die letzten 45 Kilometer auf dem eigentlich langweiligen Mainradweg zu sparen und in Gemünden in den Regionalzug zu wechseln, der mich trocken nach Würzburg bringen würde.

Ich wähle die Abfahrt nach Burgsinn – ein Killerteil, wie dieses Schild hoffentlich verdeutlicht. Mit dem Rad hoch bin ich schon ein paar Mal von der Gräfendorfer Seite her, diese 17% fehlen mir aber noch in den Beinen, die bin ich erst zweimal runtergefahren. Memo an mich: von Burgsinn hoch das nächste Mal …

Im Sinntal setzt leider Nieselregen ein, ich stelle mich oberhalb von Burgsinn kurz unter ein paar Bäume an einer Weide, um die Regenjacke anzuziehen – und bemerke erst beim zweiten Blick, dass da ja auch eine offene Hütte/Stall wäre, für den Notfall … 😉

Wieder unten im Sinntal – und nein, das ist nicht die Sinn, die hier so glänzt, sondern der Radweg. Es regnet sich ein, und ich ziehe einfach die paar Kilometer bis Gemünden durch, um dort in den Zug zu steigen und die letzten 45 km trocken, aber in Begleitung völlig verflegelter, alkoholisierter Jugendlicher (es ist 11.30 Uhr am Vormittag!) zu verbringen.

Gesamt (Freitag / Samstag):
143,14 Kilometer (84,76 / 58,38)
6:56:50 reine Fahrzeit (4:14:44 / 2:42:06)
20,60 km/h Schnitt (19,96 / 21,60)
64,28 km/h max. (64,28 / 62,11)
1.640 m Tageshöhe (1.214 / 426)
11,5 Hm/km (14,3, / 7,3)

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7 Gedanken zu “Tour: Overnighter solo in der Rhön

  1. „Liest“ sich nach einer sehr entspannten Solotour. Und die Jugendlichen, die werden wohl auch nach der Nacht nach Hause gefahren sein.

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  2. Markus Bertram schreibt:

    Respekt! Bei den Wetterkapriolen einen Overnighter, das muss man wollen! Aber wenn man erst einmal unterwegs ist macht das Wetter ja auch nicht mehr so viel aus.
    Viele Grüße aus Duisburg!

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  3. schoenie schreibt:

    Interessante „Sachen“ hast du da entdeckt! Gut zu wissen, wenn ich mal in der Gegend unterwegs bin 🙂
    Viele Grüße
    DerMario

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  4. Pingback: Goodies… | Tausendkilometer

  5. Gerade hier noch mal gelandet und an Plakat (Nachbarn) und Schild (Selbstschuss) hängengeblieben. Beim ersten Lesen vor Monaten wohl übersehen, aber genau das Richtige für meine Sammlung „Deutsche Schilder“ http://deutsche-schilder.tumblr.com/ 🙂 Du schreibst zum Plakat, da läge wohl einiges im Argen …oh ja – vor allen Dingen die grafische Umsetzung :O Gestaltungshorror

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