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#thetaunuscurse

Der Hashtag entstand ein paar Tage vor dem Start des heurigen Taunus Bikepacking – waren die Wetterprognosen zuerst noch gemäßigt, tauchten wenige Tage vor dem Start die ersten Vorhersagen auf, dass wieder neue Temperaturrekorde geknackt werden könnten (sie wurden, und werden vermutlich noch weiterhin).

#thetaunuscurse (genau: der »Fluch« ist gemeint) bezieht sich also vor allem auf die Hitze, nicht auf den Track – der war in diesem Jahr nochmal besser als im letzten, ein echter Leckerbissen, was Natur und die darin verstreuten historischen Spuren angeht. Und mit 800 Km nochmal deutlich länger als 2018 … aber jeden einzelnen Zentimeter wert: Ein Hammer-Track, den Jesko von Werthern mit so viel Liebe zum Detail angelegt hat – einfach toll, und Maßstäbe setzend. (Ich spreche von der ersten Hälfte, denn die zweite hebe ich mir für kühlere Tage auf – denke aber, die Kriterien, die Jesko bei den ersten 400 Km angesetzt hat, sollten auch auf die zweiten zutreffen.)

Für ganz Eilige die Schnellfassung (Garmin-Version):
Start 22.6., 9 Uhr / Stop 25.6., 18.30 Uhr
409 Km / 7.616 Hm / 18,6 Hm/Km
32 h 29 m Fahrzeit / 12,6 km/h Schnitt

Für alle anderen in epischer Breite:

Freitag, 21.6. – Pre-Camp in Diedenbergen

Ich komme gegen 18.30 Uhr am Pre-Camp an, auf dem Gelände des MSC Diedenbergen, wo am nächsten Tag auch der Start sein wird. Überraschung: Bernd, Dirk und Holger sind da (die beiden letztgenannten u.a. MfG19-Teilnehmer), die gar nicht mitfahren werden, aber extra zum Pre-Camp angereist sind, um ein paar Freunde im Starterfeld zu treffen. Die familiäre Atmosphäre ist super, das Konzept Pre-Camp erscheint mir immer zwingender bei solchen Veranstaltungen: Den meisten bietet sich hier Gelegenheit zum Kennenlernen und Austausch, bevor sich das Starterfeld am nächsten Tag auseinander zieht und man sich, zumindest teilweise, nie mehr begegnen wird auf der Strecke. Es wird geplaudert und gefachsimpelt, während immer weitere FahrerInnen (gelber Pfeil) eintrudeln, Setups werden begutachtet, Räder gehoben, ich verteile MfG-Karten, die Biere fließen, Alex kennt die Antwort auf alle Fragen, und ehe ich mich’s versehe, liegen die ersten schon unterm Vordach im Schlafsack. Bei mir wird es recht spät, gefühlt der letzte, der sich hinlegt, und der zweite, der morgens kurz nach 6 Uhr hochkommt. Jesko und Familie haben ein Frühstück vorbereitet, sagenhaft: Alles da, was das Herz begehrt (und der Körper: Kohlenhydrate in sämtlichen Darreichungsformen inkl. Müsli).

Samstag, 22.6. – Taunus Tag 1

Schnell setzt nach dem Frühstück Geschäftigkeit ein: Inzwischen treffen auch die StarterInnen ein, die nicht am Pre-Camp teilgenommen haben, registrieren sich und schwatzen munter mit, dieweil sich das Peloton langsam Richtung Startpunkt auf der Bahn des MSC Diedenbergen bewegt. Das hat auch optisch was …
Auf dem letzten Bild sieht man, wie sich das Feld auf den ersten Kilometern bereits auseinanderzieht, und ich liebe diese Beobachter-Position hinten, wo sich vor einem eine Reihe von ca. 50 StarterInnen durch die Felder langsam auffächert. Beeindruckend, immer wieder.

Ich gehe es langsam an, stelle bei kleinen Päuschen fest, dass ich gar nicht ganz hinten bin (es fahren immer wieder welche vorbei), und überhole unterwegs immer wieder welche. Eigentlich könnte ich alle paar Meter Fotostopps einlegen, die Gegend ist wunderschön, die stillgelegte Bahntrasse fotografiere ich erst beim zweiten Kreuzen – am liebsten würde ich jetzt einfach zu Fuß den Schienen folgen, hinein ins Grün, aber ich bin ja zum Radfahren hier.

Ein Vorsatz diesmal: Essen & Trinken nicht vernachlässigen! Am Jagdschloss Platte lege ich die erste größere Pause ein, zwei alkoholfreie Weizen und einen leckeren Handkäs mit Musik später geht es weiter. Und ich bin schon am Dot-Watchen, checke, wo die anderen sind, und sehe schon, dass es hier einige ganz schön flott angehen (und, das ist das Faszinierendste überhaupt, das flotte Tempo auch halten werden).

Die Blicke auf den freien, sonnigen Flächen sind ebenso faszinierend wie die in den schattigen Wäldern. Und kaum halte ich mal für ein Foto, kommt schon wieder der nächste von hinten aufgeschlossen, hier Dieter, dem ich mehrmals begegne bis hin zum CP1.

Ein erstes Highlight bietet sich mir an der Waldhütte im Silberbachtal, an der Spitzkehre (nahe Ehlhalten). Dort war am Vorabend das traditionelle jährliche Köhlerfest, bei dem eine ordentliche Ladung bester Kohle produziert wurde, die nun, am Tag danach, ausgekühlt in Säcke zum Verkauf verpackt wird. Das allerschönste: Vom Vorabend gibt es noch jede Menge Getränke, und ich gönne mir ein paar kalte Colas und einen informativen Plausch mit den Einheimischen, bevor ich weiterfahre. In dem Moment schließen zwei Herren auf, denen ich auf der Tour noch öfter begegnen werde: Thomas und Michael, zwei ganz sympathische Zeitgenossen, die schon mehrmals heute irgendwo standen und pausierten, während ich am Anstieg vorbeigeschlichen kam.

Es ist mittlerweile schon später Nachmittag, offenes Feld wechselt mit schattigen Wäldern ab. Den ersten (wiederaufgebauten) Limesturm passiere ich vor Dasbach, die Tages-Km sind inzwischen dreistellig. In Idstein passiere ich Boris und zwei weitere, die hier gerade zu Abendgegessen haben. Ich versorge mich nur im Rewe mit Getränken für den Abend (2 Dosen Bier) und fahre weiter. Nach einem langen Anstieg taucht der zweite Limesturm auf, oberhalb von Orlen. Ich will in Orlen nur noch Wasser auffüllen, inzwischen ist es schon nach 21 Uhr, und nach einem netten Gespräch mit einem älteren Paar, die mir die Flaschen füllen, fahre ich Richtung Taunusstein, auf der Suche nach einem Spot für die Nacht. Im Wald überlege ich zweimal, anzuhalten, aber ideal erscheint mir hier nichts, und Schutzhütten gibt es erst hinter Bad Schwalbach wieder in großer Menge – soweit will ich aber nicht mehr fahren, ich würde mein Nachtlager gerne vor 22 Uhr beziehen. Oberhalb von Taunusstein werde ich fündig – eine leere Wiese/Koppel mit relativ sauberem, überdachten Unterstand: Ideal. Kocher raus und noch eine Fuhre Eintopf zubereiten (4 Portionen), die ich dann auch brav aufesse, um am nächsten Tag genug Körner zu haben. Zwei Absackerbiere, ein Telefonat mit meiner Frau, ein bisschen Überblick über das Teilnehmerfeld, und gut ist’s.
131 Km / 2.460 Hm / 14,2 km/h

Sonntag, 23.6. – Taunus Tag 2

Am nächsten Morgen stehe ich gegen 6.30 Uhr auf, frühstücke und packe in Ruhe und rolle weiter, über Taunusstein nach Bad Schwalbach, das ich doch recht schnell erreiche: Hätte ich doch am Abend vorher …? Ach was, bloß nicht diese Psycho-Spielchen anfangen: Hätte, hätte, Fahrradkette – der Konjunktiv interessiert mich nicht. Das Licht ist noch sehr ungünstig um 8 Uhr, um vernünftige Fotos zu machen, aber in Bad Schwalbach muss ich am Kurhaus doch kurz stoppen und schlucken: »Shangri-La • Moorgrube«, ja leck, auf was die Leut alles so kommen … 😉

Dieses Schild hat mir mindestens eine Stunde lang Spaß bereitet, beim vor-mich-hinkurbeln: Ich stelle mir vor, wie die Einheimischen jedesmal eine diebische Freude daran haben, wenn ein weiterer ahnungsloser Kurgast im Moor versinkt … ich schweife ab, aber das Kopfkino ist die einzige Zerstreuung, die ich unterwegs habe.

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Unterwegs mache ich immer wieder auch Fotos von den Schutzhütten, die direkt hinter Bad Schwalbach mondän wirken, dann wieder auf normalen Standard zurückschrumpfen. Bemerkenswert: Die Kratz- und Schmiertafel an der Fischerhütte wird tatsächlich genutzt, die Hütte selbst wirkt neu und gepflegt. Witzig, das hölzerne Gästebuch vor der Hütte – so noch nirgends gesehen.

Der Vormittag meines zweiten Tages führt durch eine wunderschöne Gegend, angeführt vom Wisper-Tal samt Wispersee: Ach, so könnte ich für den Rest meiner Tage vor mich hinkurbeln. Schön langsam, denn …

… die Hitze ist gar nicht mein Ding, das merke ich immer wieder. Vor Grebenroth sind meine Wasservorräte erschöpft, doch ein kleines Dorffest dort (Traktortreffen) rettet mich, nicht nur Flüssigkeit betreffend. Naustätten durchfahre ich zur Mittagszeit ohne Essenspause, doch nach einem längeren Anstieg siegt die Vernunft, und ich kehre in Zorn ein für die Hauptmahlzeit des Tages samt etlicher Radler bzw. Apfelschorlen. Dort fotografiere ich auch mein verschwitztes Trikot (links), aber so richtig eindrücklich wird das erst am Abend (rechts): Eine dicke Salzkruste liegt auf dem Stoff, mein Körper produziert Kühlwasser ohne Ende, das ich permanent wieder oral zuführen muss.

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Es sind die langen Abfahrten wie auf dem ersten Foto, auf denen ich überhaupt mein Tempo mache: Das Surly mit den dicken Reifen rollt abwärts, dass es ein Traum ist – immer das Gefühl absoluter Kontrolle und damit Sicherheit. Aber noch etwas verblüfft mich: Die Ausblicke vom Wald auf die Städte in der Ebene, hier müsste es Richtung Mainz sein (Detail). Zuvor ging es einen deftigen Anstieg hoch, von der Laukenmühle zur Hinterlandswaldstraße – letztes Jahr war hier noch Abfahrt in Gegenrichtung, Jesko hat ordentlich am Track gedreht, wortwörtlich: 250 Hm auf 4 Km zu Beginn dieses Anstiegs – entspricht einem Bergfaktor von 62,5: muss ich mehr sagen? … Langsam nähere ich mich dem Rhein, in Kiedrich kehre ich nochmal in einer Pizzeria ein (dort entsteht das zweite Salz-Trikot-Foto oben, das mit der dicken Kruste), inzwischen ist es schon wieder 20 Uhr. Mein Tagesziel liegt hinter Rüdesheim, bis dahin gibt es noch ein wenig zu tun. Nach Johannisberg bleibt es aber erstmal weitgehend flach.

Ich verproviantiere mich an einer Tankstelle mit dem nötigsten zum Überleben – 1 Liter Bier, 2 Flaschen Leitungswasser – durchfahre Rüdesheim und mache mich dahinter an den Anstieg im Weinberg, allerdings nur bis zur ersten Kehre an der Ruine Ehrenfels, wo mir eine betonierte Höhle in der Weinbergsmauer ein ideales Nachtlager bietet mit tollem Ausblick auf die Ruine, den Rhein, Bingen gegenüber. Ich schlafe ein, ohne den Wecker zu stellen – mal sehen, was das wird …
122 Km / 2.000 Hm / 13,6 km/h

Montag, 24.6. – Taunus Tag 3

Erst um 7 Uhr schäle ich mich aus meinem Schlafsack, bereite Kaffee und Müsli zu und kleide mich frisch ein in die zweite Garnitur (Hose, Trikot, Socken). Schon besser! Der Tag beginnt mit dem Anstieg zum Niederwalddenkmal – nationalistische Kackscheisse, aber leider auch fotogen. Der Track gleicht heute übrigens exakt dem vom Vorjahr, während die vorherigen Abschnitte deutlich verändert wurden und ich schon gute 150 Km mehr in den Beinen habe.

Dennoch fühle ich mich nun recht gut, ich steuere zielsicher den Bäcker in Lorch fürs zweite Frühstück an – und muss auf der Toilette mal meine Brustwarzen genauer inspizieren: Die sind beide wund, von der Reibung des nassen Trikots. Wieder eine Premiere.

Nach Lorch geht es im Weinberg hoch, dann am alten Weinberg lang und immer weiter hoch bis zum »Grill« auf dem Sattel oben, die letzten Meter schiebend. Bis Weisel gibt es nicht viel Schatten, dahinter steuere ich wieder das Grillhäuschen an, wo ich letztes Jahr schon pausieren musste. 30 Minuten Pause, im Schatten dösen … und gegen 14 Uhr weiter.

Vor Patersberg treffe ich wieder Thomas und Michael im Wald (die mich während meinem Päuschen überholt haben), ich freue mich aber schon insgeheim auf den schattigen Radweg hoch nach Bogel, wo unterwegs nicht nur am Schlossbrunnen untrinkbares, aber immerhin kühles Wasser wartet, sondern wo ich an einem Getränke-Abholmarkt (Modell Dorfscheune) schon hängengeblieben war. Ob dort wieder geöffnet ist heute? JA, JA, JA! Das erste Radler hört den Schlag nicht, ich gebe mich dem Inhaber als letztjähriger Besucher zu erkennen – und sofort sind wir wieder am Plaudern, während ich nebenher weiter kühle Flüssigkeit zuführe, mit und ohne Alkohol. Auch Michael und Thomas schließen auf und gönnen sich ein Alkoholfreies, bevor sie vor mir wieder weiterfahren.

Was dann (für mich) folgt, ist zuerst ein guter Lauf bis Dachsenhausen, dann richtig hohes Tempo auf dem alten Bahndamm, die Vorfreude auf die Abfahrt von Frücht hinunter an die Lahn … aber die Straße ist gesperrt, es ist erst ca. 17 Uhr, und ich vermute noch Bauarbeiter in der Baustelle – Ärger vermeiden, Alternative suchen. Die führt mich zuerst an einen Felsen, an dem es senkrecht runter geht. Na gut, denke ich, geh’ ich halt woanders im Wald runter … ich Vollidiot! Was folgt, ist für mich im Nachgang immer noch kaum zu fassen:
Ich bilde mir tatsächlich ein, das bepackte Rad einen weglosen 45°-Hang runterzubekommen, mitten durch Unmengen an Totholz, in der schwülen Hitze jenseits der 30°. Um nach zwei Dritteln festzustellen, dass das untere Drittel von einer Dornenwand hermetisch abgeriegelt wird bzw. ausschließlich aus einem Dornenmeer besteht. Kein Durchkommen, und, wie ich nun erstaunt feststellen muss, auch kein Hochkommen mehr. Ich bin durch, die Beine müde, der Kopf spielt völlig verrückt, ich sitze im Nirgendwo weitab jeglicher Wege – ich hätte heulen können, sofort. Diese Eskapade markiert die übelsten 2,5 Stunden meines Radfahrerlebens. Ziemlich dehydriert, zerkratzt und zerstochen entpacke ich das Rad und beginne, abwechselnd Taschen und Rad wieder hochzuwuchten, schrittweise, immer wieder abrutschend am steilen Hang. Da erkenne ich einen alten Hohlweg, den ich abwärts beim Kreuzen gar nicht als solchen wahrgenommen habe. Ich erkunde ihn ein Stück bergab, wieder Dornen, die ersten Löcher in den neuen Socken fallen mir auf, am Trikot lösen sich die Fäden – aber der Weg scheint nach unten stetig besser zu werden, auch wenn er schon recht zugewachsen ist mit jungen Buchen. Sorry, ich muss da durch – Rad wieder beladen, und nur 10 Minuten später befinde ich mich wieder auf Asphalt – und dem Track. Aber ich bin fix und fertig, komplett am Ende, physisch und psychisch. Ich schleiche die Lahn entlang Richtung Bad Ems, am Campingplatz in Fachbach fällt der Hammer: Gaststätte und Dusche brauche ich jetzt, keine zusätzlichen Km. Ich checke ein, markiere mit dem Biwaksack mein Revier und schleppe mich zur Dusche – was für eine Wohltat! Das Wasser spült nicht nur Unmengen an Dreck hinweg, sondern auch die üble Laune. Nach dem Abendessen und einer angemessenen Anzahl an Bieren und Radlern reicht es für heute. Definitiv.
81 Km / 1.490 Hm / 13,6 km/h

Dienstag, 25.6. – Taunus Tag 4

Wieder schlafe ich aus und erhebe mich erst kurz nach 8 Uhr. Frühstück bereite ich mir keines, das gibt es in Bad Ems. Biwaksack & Co. muss ich erst in der Morgensonne trocknen, hier direkt am Fluß ist es doch um einiges feuchter als oben an den Hügeln. Effektiv sitze ich erst gegen 10 Uhr auf dem Rad und verlasse Bad Ems, nur um hinter Nassau dann wieder auf einen neuen Trackabschnitt geführt zu werden …

… und was für ein schöner: Dem Tal des Mühlbachs folge ich in südlicher Richtung, bevor es wieder hoch geht – und wie! Dornholzhausen heißt der Ort, den ich gegen Mittag erreiche, klatschnass geschwitzt und wieder ziemlich am Ende.

Also erstmal Pause auf und neben der Bank am Rasen vor der Kirche, ein paar Fotos – und da kommt tatsächlich eine Mutter mit Kind gefahren, hält im benachbarten Hof, und ich gehe hinüber, um etwas Leitungswasser zu erbitten. Sie füllt mir nicht nur zwei Flaschen mit kühlem, köstlichen Nass, sondern bewundert meine Fähigkeit, eine Literflasche Mineralwasser mit Sprudel in zwei Zügen zu leeren. Ich auch insgeheim. Ich bleibe noch ein wenig im Schatten sitzen, warte, bis sich die Flüssigkeit im Körper verteilt hat, um wieder gleichmäßig aus allen Poren austreten zu können, und folge dem Track weiter. Oberhalb gibt es nochmal Limes-Reste zu sehen, dann folgt auf eine eher rumpelige Abfahrt ein längeres Stück auf freiem Feld, aber mit homöopathisch dosierten Steigungen erst im Tal lang, dann nach Pohl hoch.

In Pohl wieder ein Kastell, rekonstruiert – dann eine Asphaltabfahrt direkt auf die Plätzer Mühle zu, die bewirtet zu sein scheint. Sie ist, wenn auch nur auf Brotzeit- und Flaschen-Niveau. Genau das richtige jetzt: 2 alkoholfreie Radler vorneweg, 2 zur Brotzeit dazu, noch eines beim Bezahlen – ich könnte für immer hier bleiben und nur noch saufen, saufen, saufen. Doch es geht weiter, und in der Nachmittagshitze am Hasenbach entlang einen weiteren Anstieg hoch, vor dessen Gipfel, mitten im Wald, die Grundmauern des nicht rekonstruierten Römerkastells Holzhausen a.d. Haide liegen. Die schöne Stimmung wird nur getrübt von ein paar hartnäckigen Bremsen, die schon während des Kriechgangs bergauf permanent versucht haben, mich bei lebendigem Leib vom Rad wegzufressen. Ich denke an eine Interview-Kolumne im Freitag, bei der eine Frage lautet: »Töten Sie Insekten?« Meine Antwort wäre ganz untypisch, sie würde lauten: »Nur die, die mich ärgern, aber mit bösartiger Lust.«
Es rollt wieder ein wenig bergab, zum CP1 sind es keine 30 Km mehr – kaum gedacht, kommt der nächste sanfte Anstieg hinterher. Es geht, aber zäh, und es ist heiß. Kurze Pause hinter Huppert, das brühwarme Wasser bekomme ich kaum runter und verteile es lieber auf Armen und Beinen und über den Kopf. Die Verdunstungskälte hilft, wenn auch nur kurz. In Kemel muss mir Rewe nochmal 2 Flaschen kaltes Zuckerwasser verkaufen, dann kann doch nichts Schlimmes mehr kommen, oder? Keine 20 Km mehr …

Hinter Kemel wird der Track irgendwann zu einem Asphaltband abwärts durch die Hügel, von denen nur noch 2 auf der Agenda stehen dürften, und kurz taucht eine Burgruine unterhalb auf: Hohenstein. Dann fällt mir auf der nun permanenten Abfahrt ein einzelner Schornstein auf, der früher den Qualm verlässlich aus dem Tal befördert haben dürfte. Und schon sehe ich Burg Hohenstein zum zweiten Mal, plötzlich und völlig überraschend wieder deutlich über mir – auweh. Den Fotostopp am Schild nutze ich zum Absteigen (oder umgekehrt) – 20% auf den nächsten 500 Metern, das wird dann auch meine erste Schiebepassage. Die Burg liegt nicht mal am Gipfel, sondern kurz davor. Noch 13 Km, die sich ziehen: erstmal wieder hinunter nach Breithardt, an die Aar, auf knapp 240 Meter ü.N.N., um dann wieder 8 Km lang 250 Höhenmeter hochzutreten (490 Meter ü.N.N.) – klar, die angenehmste Variante, über diesen Höhenzug zu kommen, schön langgezogen im Wald … aber es reicht mir langsam, es ist nach 18 Uhr, ich will endlich den CP1 erreichen.

Nach einer 4 Km langen Abfahrt (nur noch eine kleine Welle dabei) lande ich kurz vor Steckenroth am CP1, gegen 18.30 Uhr. Verena und Dieter sind da – und Ryan, der Fotograf. Ein herzlicher Empfang, alle Mühen sind schnell vergessen, das Finisherbier wartet in mehrfacher und gekühlter Ausführung auf mich … genau: Finisherbier! Schon vor dem Start war mir klar, dass ich bei der Hitze niemals die gesamten 800 Km würde fahren können. Aber die Hälfte wollte ich schon schaffen – entweder mit Abkürzungen oder eben exakt die erste Hälfte der Strecke. Die Entscheidung fiel auf die zweite Option, so kann ich mir nämlich die andere Hälfte nochmal privat vornehmen, wenn es wieder mal kühler ist.

Dieter bricht relativ bald wieder auf, zurück zu seinem Auto, also wie ich ein DNF. Aber ebenfalls in bester Laune. Am Abend kommen dann noch Jeskos Mutter plus Richard, der Fotograf aus England. Kaum weg, kommt Boris um die Ecke, fährt nach einer kleinen Erholungspause aber wieder weiter. Ich bleibe hier für einen letzten Overnighter, zusammen mit Verena und Ryan und Jeskos Vater, der ebenfalls noch aufschlug. Lange sitzen, plaudern, trinken … herrlich, ein Bilderbuch-Absacker nach über 400 Km weit jenseits meiner bevorzugten Betriebstemperatur. Am Morgen fährt Verena weiter, während wir anderen noch liegen – tough, mein allergrößter Respekt.
76,5 Km / 1.450 Hm / 12,6 km/h

 

Mittwoch, 26.6. – DNF und Heimfahrt

Ich melde Jesko mein DNF, plane mir einen kleinen Track von 18 Km bis zum Bahnhof in Niedernhausen, auf dem ich meinem Tag 1 gleich zweimal wiederbegegne, bei Km 125 (bei Orlen) und Km 61 (Niedernhausen), oder anders gesagt: Ich brauche von Steckenroth nach Niedernhausen 18 Km, Jesko für die Gegenrichtung satte 340 Km … 😉

 

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8 Gedanken zu “#thetaunuscurse

  1. Klaus schreibt:

    Hallo Jochen,
    ich bewundere Deine Fähigkeit, bei diesen Unternehmungen trotz Hitze, Durst und Anstrengung auch noch Gedanken an den Bericht danach zu haben. Das selbe gilt auch für andere nicht genannte schreibenden und gravelnden Bikepacker. Wie immer ein sehr schöner Bericht. Deinen Ausflug in den 45 Grad Dornenhang kann ich nachvollziehen. Sowas ist mir auf dem Kolonnenweg auf meiner GST auch schon passiert. Danach möchtest du das Rad nur noch in den Graben feuern. Wie heißt es so schön, zwischendrin ist’s Scheiße, aber hinterher ist’s gut.
    Bevor Du den zweiten Teil angehst, gib mir bitte Bescheid, vielleicht fahre ich mit. Meine Tel.-Nr. hast Du hoffentlich noch.
    Liebe Grüße, Klaus

    Gefällt 1 Person

    • Danke, Klaus, für die Blumen. An die GST hatte ich in dem Moment auch gedacht, und dass das dort ja öfters so ist – das hat mir geholfen, nicht völlig kirre zu werden – und nochmal die Lust gedämpft, die GST auch mal zu fahren …
      Teil 2 ist noch völlig offen, ich melde mich, wenn es soweit wäre.
      Bis dahin wünsche ich Dir eine gute Zeit!

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  2. Danke dir fürs Dabeisein und den schönen Bericht. Du hast genau das Bild geschossen, was mir wochenlang immer wieder durch den Kopf ging, wie sich das Feld auf dem Anstieg nach Langenhain auseinanderzieht. Genau so hab ich es mir vorgestellt, der Anblick blieb mir aber verwehrt, auch dafür Danke 🙂

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  3. Björn schreibt:

    Moin Jochen,
    vielen Dank für das Teilen deiner (Grenz-) Erfahrung. Sehr schön geschrieben. Insbesondere die Episode an der steilen Böschung und nahe der Verzweiflung hat mir gefallen. Auch solche Momente gehören dazu.
    LG
    Björn

    Gefällt 1 Person

    • Moin Björn,
      so, so, die Episode hat Dir gefallen? Dann komm mal hierher, in meinem Büro sind seit 7 Tagen Telefon- und Datenleitung tot: wie würde Dir DAS gefallen? … 😉
      #ichwillzurückindentaunus

      Danke für die Blumen!
      Jochen

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  4. Tobias Wessendorf schreibt:

    Hallo Jochen,

    vielen Dank dafür, dass du deine Erlebnisse durch diesen Bericht mit uns teilst!

    Wie immer sehr kurzweilig geschrieben!

    Alles Gute.
    Gruß,
    Tobias

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  5. Michael schreibt:

    Hallo Jochen, das macht Spass, Deine Geschichten hier zu lesen.
    Weniger Spass hattest Du ja bei Deiner Abfahrt an die Lahn bei Frücht. Wir sind dort nach einem kleinen Schlenker, die Baustellenstrasse nach unten gerollt 😉 Kameraüberwacht 😉
    Ich hatte Abends immer nochmal nach Deiner Position geschaut und wir haben nicht ganz verstanden, wo Du „abhanden“ gekommen bist…. Dein Bericht hier klärt das dann (dramatisch) auf. Weiterhin Dir gute Fahrt mit hoher Trittfrequenz und
    Gruss
    Michael

    Gefällt 1 Person

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