Ehrgeiz, Gravelbike, Lust, Mensch-Maschine, Radwege

Rückblick 2019 (1/2): Mein Fahrrad …

Das Jahr 2019 ging leider nicht so zuende, wie ich es mir und meinen Rädern gewünscht hatte. Tatsächlich saß ich am 23. November das letzte Mal auf dem Rad – das ist nun ziemlich genau sechs Wochen her. Gründe gibt es wie immer viele – die Frage ist, welche davon echt und welche nur vorgeschoben sind – ich weiß es selbst nicht so genau.

Rückblick 2019

Ein privater Trauerfall, der (seit längerem absehbare) Tod meines Schwiegervaters Anfang Dezember, wird 2020 mein Leben mit/auf dem Rad beeinflussen wie nichts sonst: Die Touren zwischen Würzburg und Coburg gehörten seit Jahren zu den stetigen Trainingseinheiten, bei denen ich das Nützliche (von A nach B fahren) mit dem Angenehmen (Radfahren, neue Strecken erkunden, trainieren, …) verbinden konnte. Das hatte sich nach dem Tod der Schwiegermutter 2015 eher intensiviert; nun jedoch ist diese Verbindung definitiv gekappt. Zwar wird es noch einiges zu tun geben im Elternhaus meiner Frau, aber nichts ist mehr terminlich kritisch, und vermutlich werde ich meistens eher ein Auto als ein Fahrrad vor Ort benötigen …

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Ansonsten war das Jahr mit vielen Highlights gespickt, aber auch mit einer Art Unfokussiertheit, die mich viele DNFs hat hinlegen lassen … wobei das so auch wieder nicht stimmt:

Den Hanse Gravel (April 2019) habe ich nicht nur in akzeptabler Zeit absolviert, sondern so viel Spaß dabei gehabt, dass die Anmeldung für die 2020er Ausgabe schon seit langem steht, auch das Zugticket liegt inzwischen bereit. Zwischendurch habe ich doch gezögert, da zeitgleich der 2020er Candy B. Graveller stattfinden soll, und hätte dem Candy sicher den Vorzug gegeben – auch, nachdem beim Bikepacking Barcamp (mehr dazu unten) Gunnar Fehlau einige Aspekte des Candy zur Diskussion stellte, in einem Workshop. Aber es kam dann nichts mehr nach, auch keine (angekündigten) Infos bis Weihnachten … ich kann verstehen, dass Gunnar da konzeptionell noch die eine oder andere Stellschraube drehen will, aber mit der Grenzstein-Trophy hat er eine weitere Tour im Portfolio, die ihm möglicherweise wichtiger ist. Ob und wie der Candy stattfinden wird, ist mir bis heute völlig unklar – von daher mache ich für mich den sauberen Schnitt: Ich werde den Candy 2020 nicht fahren.

Meinen eigenen Mainfranken Graveller habe ich 2019 kurzentschlossen abgebrochen, um die meisten Finisher einzufangen. Das war schön, zwei Tage lang im Biergarten sitzend mit den Fahrer*innen zu plaudern und direkt Feedbacks einzusammeln. Aber für 2020 habe ich mir vorgenommen, das nicht mehr zu machen, sondern wieder selbst zu fahren – die Strecke wird nicht nur umgedreht (Fahrtrichtung gegen den Uhrzeigersinn), sondern entsprechend verändert und um Schweinfurt erweitert. Dazu gibt es künftig 4 Tracks, die in einer regulären und einer kürzeren Variante vorliegen: Damit wird der MfG20 frei skalierbar zwischen aktuell 472 und 648 Km Streckenlänge und zwischen 5730 und 9190 Hm. Künftig wird der Mainfranken Graveller also nicht nur jährlich die Richtung wechseln (im bzw. gegen den Uhrzeigersinn), sondern auch in skalierbaren Versionen vorliegen, in beiden Richtungen.
Mehr Infos dazu auf der Website

Taunus Bikepacking lief ebenfalls ganz ok: Nachdem es zuerst so aussah, als könnte ich die ganze Runde absolvieren, stiegen rechtzeitig eine Woche vorher die Temperaturen, wenige Tage vor dem Start kamen die ersten Hitzerekord-Prognosen im Radio … von daher war mein persönliches Ziel, zumindest die Hälfte zu fahren, und das habe ich auch erreicht. Wäre der dritte Tag nicht so absurd verlaufen – erst einen Wahnsinnslauf gehabt, dann am Hang oberhalb der Lahn sämtliche Körner, auch psychisch, komplett verbraten –, wäre ich evtl. noch weiter gefahren … für mich ist der Taunus jedenfalls der Referenz-Graveller hierzulande: Eine wunderschöne Strecke, mit viel Liebe zum Detail zusammengestellt und überwiegend sehr gut fahrbar. Gravel Deluxe quasi. Allerdings hat Jesko noch einen draufgesetzt – von 660 Km (2018) über 800 Km (2019) bis 1000 Km (2020) ist der Kurs immer größer geworden, für die reguläre Runde fehlt mir inzwischen die Motivation: 1000 Km (am Stück) habe ich mir auch für 2020 vorgenommen, aber das möchte ich nicht in einem einzigen Gebiet abfahren durch permanente Richtungswechsel und Schlenker, sondern da möchte ich dann mindestens von den Alpen bis Dänemark kommen … und wer den Taunus in kompakter Form fahren möchte: Jesko hat einen Taunus Teaser gebastelt, der mit nur 400 Km ein mehr als empfehlenswertes Angebot darstellt!
Dem Taunus werde ich 2020 sicher noch einen privaten Besuch abstatten, nach einem erfolglosen Anlauf Mitte August 2019 will ich zumindest die 800er Variante noch für mich fertigfahren, knapp 230 Km fehlen mir noch.

Der Eifel Graveller hat mich dann endgültig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Ich weiß nun wieder, dass es auch Mountainbikes gibt, und wozu – der Kurs, so abwechslungsreich er auch war, in wunderschöner Landschaft, ist nichts für mich und meine Räder. Beim MTB liegt der Fokus viel stärker auf (Fahr-)Technik und (körperlicher) Fitness als beim gewöhnlichen Graveln über »Waldautobahnen«. Das musste ich vor Ort erfahren …
Wer hier weniger zimperlich als ich ist, findet im Eifel Graveller aber sicher ein (nicht nur landschaftliches) Highlight – ich werde mir stattdessen mal Holger Loosens neues Baby »Climb the Eifeltowers« genauer anschauen, das klingt nämlich ebenfalls sehr verführerisch (nicht zuletzt, weil man die Strecke selbst planen muss, es gibt nur Punkte, die anzufahren sind, und auch bei diesen ist man flexibel). Überhaupt finde ich es klasse, wieviel Hirn, Herz und Handarbeit Holger in seine Babies steckt: Wer ihm auf Facebook folgt, bekommt mindestens im Wochenrhythmus neue Bilder von neuen Streckenabschnitten zu sehen. Leider geil.

Das letzte Event, das mich mehrere Tage von zuhause weggelockt hat, war dann das Bikepacking Barcamp 2019 am Jugendzeltplatz an der Weser bei Glashütte. Die Fahrerei hielt sich in Grenzen (die An- und Abfahrt vom/zum Göttinger Bahnhof schlug nur mit je 30 Km zu Buche), das Wochenende selbst war sehr informativ und abwechslungsreich, mit einem bunten Strauß an Themen, die in mehreren Workshops bearbeitet wurden – ob vegane Ernährung unterwegs (Themenvorschlag, aber nicht ausdiskutiert), kleine und große »Geschäfte« in der Natur, die Art und Weise, wie der Candy B. Graveller 2020 stattfinden kann, wie sich Social Rides von Rennen trennen lassen (und die »Racer« generell von Social Rides ferngehalten werden können), wie sich bei den diversen mehrtägigen »Veranstaltungen« (Bikepacking, Gravel etc.) die eigenverantwortliche Teilnahme juristisch besser absichern lassen könnte, und, und, und … es wurde wirklich viel diskutiert, teilweise auch mit deutlich konträren Meinungen, aber immer respektvoll und mit guten Argumenten unterfüttert. Dabei gingen die Diskussionen weit über die Workshops hinaus – ideale Bedingung, wenn sich mehrere Dutzend Bikepacker 48 Stunden lang um ein dauerbrennendes Lagerfeuer versammeln und noch dazu das Wetter freundlich mitspielt.
TeilnehmerInnen gabe es rund 50, wobei sich die -Innen klar in der Minderheit befanden (auch das ein Thema: Warum machen so wenige Frauen Bikepacking, Overnighter etc.?), mit Radl-Franzi und Radelmädchen Jule Schumacher allerdings hochkarätig vertreten waren. Ansonsten erfreulich viele »übliche Verdächtige«, die teilweise selbst organisatorisch tätig sind: Gunnar Fehlau als Initiator des Barcamps, aber auch als Vater von GST und CBG, Jesko (Taunus Bikepacking), Thomas (BTG), Mark (Sweet Sixteen) etwa, aber auch die prominenteren Teilnehmer an diesen Events, die jährlich mehrere solcher Touren fahren und die der Veranstaltung als »alte Hasen« das eine oder andere Topping obendrauf setzten – Mario, Walter, Uwe und Dieter etwa, die ich beim ersten Candy kennengelernt und seither nicht mehr aus den Augen verloren habe … 😉
Und was kam dabei letztlich rum? Das konkreteste Ergebnis ist wohl, dass sich einige im Februar 2020 erneut in Göttingen treffen werden, um in einem weiteren Workshop mit einem radaffinen Juristen den Haftungsausschluss (der mehrtägigen Radtouren à la MfG, BTG etc.), mit dem wir alle mehr oder weniger arbeiten (müssen und wollen), wasserdichter zu bekommen. Ansonsten: Sehr viel Input zum Nachdenken und Gären lassen bis zum nächsten BPBC, und dank der Sponsoren ein Goodie-Bag, der wirklich einige Hammerteile enthielt (Multitool, Hüttenschloss etc.), deren finanzieller Gegenwert sehr, sehr weit über der Teilnahmegebühr lag.

Das klang jetzt alles sehr schlüssig – wo bleibt die eingangs erwähnte leichte »Unfokussiertheit«? Nun, diese machte sich im letzten Jahr breit in dem Sinne, dass ich oft nicht fähig war, mich zu konzentrieren bzw. zu entscheiden: Will ich Rad fahren oder will ich draußen schlafen? Will ich unterwegs sein und Landschaften erkunden … oder fahre ich nur von einem Overnighter zum nächsten? Geht es mir um die Gemeinschaft mit anderen oder mein eigenes kleines Vergnügen? Und: Schließen sich die genannten Aspekte aus, ergänzen oder behindern sie sich?
Darüber kann und werde ich 2020 nachdenken, während ich vor mich hinkurbele … 😉

Last not least: »Mein Fahrrad« war 2019 definitiv das Surly ECR 29+, mit dem ich zuerst nur langsam warm wurde … aber recht schnell wurde es wärmer und wärmer, schließlich richtig heiß: Nach dem Downgrade der Bereifung von den originalen 3″-Knard-Reifen auf 2,25″-Maxxis-Icon entpuppte sich das Surly mit jeder neuen Ausfahrt zu einem nicht unbedingt schnellen, aber für meine Touren mehr als idealen Begleiter mit passabler Geschwindigkeit (da ginge noch mehr, aber das läge dann wohl an mir). Gerade auf den eher rumpeligen Abschnitten in Mainfranken und anderswo ist das Rad einfach der Hammer – beim Taunus etwa habe ich meinen Schnitt komplett in den Abfahrten hochgejazzt, da ist das Surly einfach viel stabiler als mein Bombtrack Hook 1 mit seinen 38er Reifen (die wiederum auf festerem Untergrund ihre Vorzüge ausspielen). Beide Räder bilden nun im Kern meinen Fuhrpark, die Rennräder stehen die meiste Zeit über im Eck – klar, auch Rennradfahren hat was, leicht und schnell und ohne Gepäck. Aber das Geotop, in dem das Rennrad sich am besten macht, ist genau das, das mich überhaupt nicht mehr interessiert – die Autostraße. Für echte Wahlfreiheit ist das Netz der asphaltierten Wege einfach zu gering, hier habe ich mit Hook und ECR einfach viel mehr Wahlmöglichkeiten, die Routen betreffend. Und Begegnungen mit motorisierten Vollidioten finden abseits der Straße quasi nicht statt – warum sollte ich also noch Rennrad fahren? …

Vorschau 2020

Einiges habe ich oben schon genannt, hier meine Touren-Pläne für 2020 (schon angemeldet bzw. Anmeldung folgt):

  • Hanse Gravel (Hamburg > Stettin, 620 Km), Start 16. April
  • Mainfranken Graveller (Rundfahrt, Start/Ziel Würzburg, 470-650 Km), Start 21. Mai
  • Bratwurstrace (Hörschel > Oberhof, Rennsteig, 75 Km), 20. Juni – das ist nur ein kleines Event, dem ich aber noch An- und Abfahrt hinzufügen kann, d.h. da kann ich direkt den Rennsteig nochmal fahren … 😉

Dazu kommt noch …

  • das dicke Ding (Würzburg > ? > ?, 1000+ Km), wofür ich mir 10–14 Tage Zeit nehmen will, eine gemütliche Bikepacking-Tour mit 4 Taschen (Bombtrack mit Trägern), Zivilklamotten und dem vagen Plan, Richtung Norden (Ostsee) zu radeln, möglichst weit westlich (Rhein, evtl. via B/NL), und mit der Option, unterwegs Freunde/Städte zu besuchen … gärt noch.

Soviel zu den guten Vorsätzen – mehr Km als die in diesem Jahr mageren 5.277 dürfen es gerne werden.

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3 Gedanken zu “Rückblick 2019 (1/2): Mein Fahrrad …

  1. Gert schreibt:

    Hallo Jochen,
    schön, dass Du auch beim Hanse Graveller dabei bist. Eigentlich hatte ich auch auf den Candy gewartet … Ich steige um 18.20 Uhr in Hannover in den ICE 72. Sehen wir uns?
    Beste Grüße
    Gert

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  2. Pingback: Was machen wir Schönes in 2020? – Takeshi fährt Rad

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