Ehrgeiz, Gravelbike, Lust, Tour 100–200 km

Wenn erstmal der Wurm drin ist …

… dann aber richtig, oder: WetterauHoch3 war schnell vorbei (zumindest für mich).

Problem 1 – Der Reifen. Vor einer guten Woche, nach der Fahrt von Lichtenfels nach Würzburg, konnte ich meinen neuen Hinterreifen am ECR gepflegt dicht fahren. Am Sonntag dann, beim Radputzen, fiel mir allerdings auf, dass der Vorderreifen zwar noch genug Profil aufwies, aber eben auch eine deutlich sichtbare Kerbe seitlich in der Karkasse. Statt mit dem Schlauch abgespritzt hatte ich das Rad mit Wassereimer und Lappen geputzt, daher war der Sichtkontakt intensiver – sonst wäre mir die Macke vermutlich gar nicht aufgefallen, aus der üblichen Schlauchdistanz. Mist natürlich, denn ich war diesmal etwas nachlässig mit der Lagerhaltung – ich hätte sofort nach Montage des neuen Hinterreifens nachbestellen sollen, nicht erst eine Woche später, als mir die Macke auffiel und eine kurze FB-Umfrage im Schwarm recht einhellig ausfiel: Runter mit dem Ding.

Netterweise bekam ich viele Angebote für kurzfristigen Ersatz, aber dann kam mir die Idee, einfach einen Schlauch samt Flicken einzuziehen, das würde die Seitenwand vom punktuellen Druck entlasten und wohl noch ein Weilchen halten. Das Paket mit nachschub war auch unterwegs, würde dann aber doch erst am Freitag zugestellt werden, Start wäre aber am Donnerstag. Am Dienstag Abend also vorne Schlauch eingezogen, zuvor einen Parktool-Flicken für Tubeless-Mäntel appliziert – und sicherheitshalber noch ein Stück des abgefahrenen Hinterreifens ausgeschnitten und ebenfalls dazugepackt. Das sollte halten – und tat es auch. Vorgepackt wurde am Dienstag Abend noch, am Mittwoch hatte ich das Rad, gegen jede (schlechte) Gewohnheit, bereits zwei Stunden vor Zugabfahrt komplett fertig bepackt in der Garage stehen. Also nochmal hoch in die Wohnung, gemütlich Kaffee und Kuchen im Kreis meiner Lieben, nochmal duschen, dann entspannte 30 Minuten vor Zugabfahrt (ich benötige mit dem Rad keine 10 zum Hauptbahnhof) zur Garage. Und dort der Schock: Das Vorderrad komplett platt!

Auweh – dann halt doch in Maintal noch einen anderen Reifen aufziehen? Dort läge einer für mich parat … also Pumpe her, es muss ja nur bis zum Bahnhof halten, mit etwas Nachpumpen würde ich zur Not die paar Km bis zu Ante, dem WH3-Mastermind, schaffen. Aber: Keine Chance, den Reifen aufzupumpen – der nagelneue Schlauch wollte partout keine Luft mehr behalten. WTF?!?! Inzwischen war schon klar: Den geplanten Zug erreiche ich sicher nicht mehr, ich würde eine Stunde später loskommen – also statt langem Getue doch schnell umpacken und das Hook statt dem ECR nehmen. Das hieß aber auch: 1.5″ statt 2.2″ Reifen, weniger Stauraum, Gepäckträger und Schutzbleche … oh no! Zumindest den Gepäckträger habe ich noch schnell demontiert (war schon am Überlegen, den Ortlieb Gravelpack daran zu befestigen), sonst hätte ich erst recht wie ein typischer Radtourist ausgeschaut – und das für einen Rundkurs, auf dem sich das ECR sicher wohlgefühlt hätte, und ich mich auf ihm. Das Geklapper der Schutzbleche auf Asphalt war mir schon vorher aufgefallen, in grobem Geläuf würde mich das ordentlich nerven – aber für solche Feinheiten war nun keine Zeit mehr. Schei…

Der Abend in Maintal war dann doch recht entspannt, Ralph und Tobi schliefen wie ich in Antes Hof unter freiem Himmel und wir plauderten stundenlang (ich muss vielleicht erwähnen: Mit Ante und Tobi zusammen bin ich auch Admin in einer FB-Gruppe, wir nutzten den Abend also für den lange überfälligen persönlichen Austausch über diverse Themen rund um die Gruppe im speziellen und Bikepacking im allgemeinen).

Am nächsten Morgen waren wir die ersten am Startpunkt, kurz vor 8 Uhr, und um 9 Uhr ging es los – ganz ungewohnt, mal wieder im Pulk resp. Zweierreihe legal zu starten. Und so ging es auch mit ziemlichem Tempo die ersten Stunden über die Felder, hin zu den beiden höchsten Bergen der Tour – Steinkopf und Hausberg. Unterwegs immer wieder Begegnungen mit anderen Fahrer:innen, darunter viele bekannte Gesichter, die ich auch immer wieder sehr gerne sehe bzw. an diesem Tag zum ersten Mal persönlich traf. Tilman, mit dem ich meistens unterwegs war in der letzten Zeit (den letzten Jahren), kam erst am Morgen dazu, Dirk und Alex sah ich wie immer am Start – und dann nie wieder, ebenso Tom, Bengt konnte ich unterwegs den Mainfranken Graveller samt Rhœn Divide nochmal schmackhaft machen, Franziska (aka Radlfranzi) traf ich immer wieder zwischendurch, Oli und Andreas (die ich beim zweiten Candy kennengelernt hatte), Phil und Fabian kamen vorbei, und gemeinsam mit Daniel und Chris machte ich schließlich die erste Pause, um 12 Uhr in Rosbach.

Problem 2 – die Flasche. Dort der nächste Schreck: Meine zweite Wasserflasche am Unterrohr war weg, irgendwo auf einem Rumpelfeldweg verloren, ohne dass ich es bemerkt hatte. Geschickterweise hatte ich einen Flaschenhalter demontiert, um noch ein kleines Täschchen im Rahmen unterzubringen, womit sich nach dem Verlust der Flasche unten mein Wasservorrat auf überschaubare 0,5 Liter reduzierte. Zumindest bis zur nächsten Tankstelle, dort würde ich mir einfach eine beliebige Plastikflasche mit Zuckerplörre kaufen und dann als zweite Flasche weiterverwenden.

Problem 3 – der Dickkopf. Da in Facebook wieder die (unnötige) Diskussion um »self-supported« losging: Chris hatte mir in Rosbach eine seiner beiden zusätzlichen 0,5-Liter-Flaschen angeboten, die er nur zum Abend befüllte – ich habe dankend abgelehnt. Mir wäre auch das Fassungsvermögen zu wenig gewesen – ich wollte mindestens 0,75 Liter an der Tankstelle kaufen, dann hätte mir aber der Platz dafür gefehlt (normalerweie fahre ich mit zwei bzw. drei 0,85-Liter-Flaschen). In Rosbach am Friedhof, nur 150 Meter von unserer Pausenbank entfernt, trank ich erstmal ordentlich was weg, bevor ich mit frisch gefüllter Stahlflasche den Winterstein anging.

Zwischenspiel – Sturz #1. Vom Winterstein runter gab es einen veritablen MTB-Parcours, den ich halbwegs unbeschadet überstand – umso überraschender kam für mich in einem Stück Trockenrasen danach der Sturz in einer Linkskurve: Zack, war das Vorderrad weg und ich lag der Länge nach da, völlig verdutzt. Ok, halb so schlimm, aufstehen und atmen ging anstandslos – als ich kurz darauf mal wieder an Daniel und Chris rankam, die gerade ihre Räder über eine Baum wuchteten, justierte Daniel nochmal seine Tasche am Sattel nach – er war ebenfalls kurz vor mir an der gleichen Stelle »abgestiegen«. Aha.

Problem 4 – der Geizhals. Anstatt dass ich nun von Wasserhahn zu Wasserhahn gefahren wäre, versuchte ich, Anstrengungen und Wasserverbrauch zu minimieren. Ein völlig idiotischer Gedanke. Das Restaurant im Tennisclub bei Obermörlen ließ ich ebenso aus, stattdessen gönnte ich mir kurz danach im Schatten eines Baumes am Track ein kleines Päuschen. Und Fabian, der Gute, der mit Phil vorbeikam, spendierte mir eine frische Dose Spezi – 0,25 Liter, die natürlich weder unter Flüssigkeits- noch unter Zuckeraspekten viel Wirkung entfalteten, aber fürs Gemüt umso mehr: Danke, Fabian – Beschde!

Zwischenspiel – ganz unten am Berg. Die anschließende Anfahrt auf den Hausberg war im Vergleich zu der Rampe hinter Rosbach ein Kinderspiel – in der Theorie. Praktisch jedoch war ich komplett am Ende, die letzten Schlucke Wasser in der Flasche hob ich mir für den Gipfel auf. Auf dem Weg dahin, ich musste hoch nach rechts abbiegen, kam von links ein E-MTBler, der mich schon sehr aufmerksam beäugte. Bis ich kurz vor den Gipfel geschoben hatte (=gekrochen kam), kam er schon wieder runter und sagte in einem recht strengen Ton: »Sie gefallen mir überhaupt nicht. Gehts noch?« Keine Ahnung mehr, mit welchem unfreundlichen Gebrabbel ich ihn vertreiben konnte … tut mir leid, unbekannter Freund, und Danke für die Aufmerksamkeit.

Auf dem Hausberg. Kein Foto. Kein Besteigen des Turms. Nichts. Nein, auch keine Zigarette. Die letzten Schlucke Wasser und die Gewissheit, dass es bis Butzbach quasi nur noch bergab gehen würde.

In Butzbach gleich links am Döner angehalten, aber nur eine Portion Pommes, eine Rindswurst (im Pidebrot) und zwei Flaschen Apfelschorle (seit 6 Monaten abgelaufen, also etwas unsprudelig und fad) vertilgt. Dann durch Butzbach durch zur Tanke – vorbei an Burger King und MacDonalds: Oh Mann, das wäre mir tausendmal lieber gewesen als der Trash zuvor … immerhin: An der Tanke die dringend benötigte 0,75-Liter-Flasche gekauft, ein Snickers dazu, eine Dose Apfelwein-Cola-Gemisch und meine Bestandsflasche aufgefüllt. Nur noch wenige Km zum ersten Checkpunkt in Münzenberg. Dort den Eistee aus der (neuen) Flasche fachgerecht »entsorgt«, nochmal das gleiche in Trinkwasser hinterher, alle Flaschen gefüllt und die Optionen gecheckt: Mittlerweile war es deutlich nach 19 Uhr, und ich würde kräftemäßig nicht mehr weit kommen heute – das hatte ich nicht sehr schlau gemacht, mich völlig leerzufahren, nun musste die Vernunft ran. Frühe Pause, früher Schlaf – direkt hinter Münzenberg fuhr ich nicht nur auf den einsetzenden Regen zu, sondern sah davor auch einen großen, leeren, offenen Stall rechts mitten in einer Wiese mit sehr hohem Gras, so dass ich im Liegen nicht zu sehen wäre – dafür hatte ich allerdings einen sagenhaften Blick auf Münzenberg. Ich bereitete mein Nachtlager vor, genoss die Dose Mischgetränk und lag schon bei Helligkeit flach. Auch ein Novum. Bis zum Einschlafen lauschte ich den Schauern, die regelmäßig niedergingen, teils sogar ziemlich ordentlich. Und freundete mich mit dem Gedanken an, als Seitenschläfer diese Nacht die linke nicht zu benutzen, die schmerzte doch noch etwas vom Sturz …

Der nächste Morgen belohnte mich mit Blick auf einen tollen Sonnenaufgang. Ich packte dennoch zügig zusammen und fuhr erstmal ein gutes Stück weiter, bis hinter Wisselsheim (kurz vor Bad Nauheim), wo ich an einer Bank in der Morgensonne frühstückte – zu Essen hatte ich ja genug dabei, und auch mit dem Wasser konnte ich nun wieder großzügiger haushalten. Kaffee gab es trotzdem keinen, ich wollte vor allem wieder in Fahrt kommen und nicht noch groß den Kocher auspacken.

In Bad Nauheim, hinter dem Kurpark (durch den ich brav geschoben habe), zaubert mir der Elvis-Presley-Platz ein Lächeln ins Gesicht, die Stimmung steigt. Es geht im Wald sachte, aber bestimmt aufwärts, aber meine Beine sind wieder halbwegs brauchbar, die Laune auch. Unterwegs sehe ich zwei an der ersten Schutzhütte (Kirchnerhütte) im Wald beim Packen – die beiden sind allerdings so mit sich beschäftigt, dass sie mich gar nicht wahrnehmen. Auch gut. Am Einstieg in den Trail oberhalb (Lichtenberg-Pfad) die beiden nächsten, beim Reifenflicken. Ich fahre in den Trail, der ziemlich (!) matschig ist durch den Regen zuvor, und mehr als einmal fluche ich innerlich, dass ich nicht einfach auf der Waldautobahn geblieben bin.

Sturz #2 – und Schluss. Kurz vor Trailende (Elisabeth-Ring) bricht mir das Vorderrad erneut aus, zur Abwechslung lande ich diesmal auf der rechten Seite, und zwar im Matsch. Die Stimmung kippt schlagartig wieder, die Rippen schmerzen nun rechts mehr als links, ich sehe aus wie die Sau … und beschließe, es hiermit gut sein zu lassen: Ich fühle mich mit den schmalen Reifen am Bombtrack und dem improvisierten Setup überhaupt nicht wohl hier auf solchen Abschnitten, und ich habe gerade erst ein Drittel des Kurses hinter mir. Der Dreck ist mir egal, der wird trocken und fällt ab – aber auf welcher Seite soll ich in der nächsten Nacht schlafen? Auf einer Matratze, die schon seit geraumer Zeit die Luft nicht mehr richtig hält? Dazu kündigt sich schon wieder die Sorte Schwüle an, die meiner Motivation auch nicht wirklich zuträglich ist … Franziska kommt wieder mal vorbei, wir plaudern ein letztes Mal kurz, dann fährt sie weiter. Ich nicht, bzw. nur noch bis zum Bahnhof. Nach 130 (von 370) Km war diesmal leider Schluss für mich.

Fun fact: Die beiden, die mich schon beim Packen in der Kirchnerhütte nicht bemerkt hatten, bemerkten mich auch nicht am Ende des Trails, als sie 20 Meter entfernt an mir vorbeifuhren, während ich auf einem Holzstapel sitzend die DB-Optionen am Iphone checkte. Sehr fokussiert, die zwei. Und immer am Schnattern, beim Packen, beim Fahren, … 😉

Mein Fazit: Liebevoll geplanter, abwechslungsreicher Track in wunderschöner Gegend, den ich so gerne mit dem ECR gefahren wäre – aber es ging nicht, und dummerweise dachte ich, ein schnell umgepacktes Hook würde es genauso tun. Klar, täte es auch – allerdings bei anderen, nicht (mehr) bei mir: Ich habe mich dermaßen an den »Traktor« gewöhnt, dass ich das Hook – siehe Schutzbleche – mittlerweile eher als Langstreckenrad für zivilere Beläge schätze, auf Trails habe ich mich damit noch nie wirklich wohl gefühlt, und die Wetterau hat mir gezeigt, dass ich mit meinen Gefühlen richtig liege. Danke, lieber Ante, für all die Mühe, die du in den Track und die Organistion gepackt hast – ich hoffe sehr, dass ich da nochmal rumkomme, beim nächsten Mal aber sicher mit dem ECR.

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4 Gedanken zu “Wenn erstmal der Wurm drin ist …

  1. klawag schreibt:

    Wie Du schon titulierst »Wenn der Wurm …« Was mir aufgefallen ist – der Sattel Deines Hook hat ne ganz schöne Neigung nach vorne, für mich wär das nix. Aber jeder wie er sich wohl fühlt.

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  2. schoenie schreibt:

    Mensch Jochen, sehr schade das alles! Aber manchmal….deine Überschrift sagt’s ja bereits. Dennoch cooler Artikel mit schönen Bildern ! Hoffentlich sind die Blessuren so harmlos wie geschildert, gute Besserung!

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  3. Tobias Wessendorf schreibt:

    Wäre schön, wenn wir nächstes Jahr noch mal einen gemeinsamen Start auf breitbereiften Fahrrädern hinbekommen würden. Als Finisher kann ich nur bestätigen, dass das ECR die bessere Wahl gewesen wäre.

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