Das englischsprachige Buch ist offenbar im Selbstverlag erschienen, trotzdem in akzeptabler Geschwindigkeit lieferbar*.
Zwei MAMILs (middle-aged men in lycra) schreiben über ihre Trainingsrunden und ihre wenigen gemeinsamen Ausfahrten: Zwei, um genau zu sein, denn die beiden Autoren verbindet zwar eine tiefe Freundschaft, trennt dafür jedoch die beinahe größtmögliche Distanz. Chris lebt in Australien (zieht aber zu Beginn seiner Berichte mit der Familie nach Hongkong), Neil in England. Beide verbindet eine mehr oder weniger ausgeprägte Liebe zum Radsport und der Wille, die Tour de France nachzufahren, ebenfalls in lediglich 21 Tagen.
»… Mostly though, I wanted to earn the title afforded to those who complete the tour; Giant of the Road.
In short, it had to be done. I threw the suggestion out to Neil via email and received, not to any great surprise, a rapid and positive response. The emails from London to Hongkong gathered steam and we agreed to table the proposal to our wives. Wendy said yes immediately. She’s Belgian. They ride bikes. Husbands go on holidays to ride bikes. Water is wet. No discussion was needed. …« (S. 62)
Das Buch beschreibt den Weg der beiden, dieses Ziel zu erreichen. Klingt wie eine weitere epische Darstellung des größten Rad-Events und des Versuchs Normalsterblicher, an die sportlichen Höchstleistungen der Profis anzuknüpfen – ist aber tatsächlich fast das Gegenteil: Eine gegen den Strich gebürstete Erzählung vor allem des Scheiterns nicht nur an den Maßstäben der Profis, sondern auch an den eigenen Ansprüchen. Dabei fasziniert vor allem der Humor der beiden – sind die Briten ja durchaus für ihren speziellen, oft extrem trockenen Humor bekannt, so fasziniert mich vor allem der Ton des Australiers Chris, der auch den größeren Teil der Texte beisteuert.
»In Australia if I wanted a mechanical problem fixed on my bike the experience was deflating. The owner of the local bike shop was a Bike Nazi. He was tough, he was short, and he had calves bigger than my thighs. He was British and he had the aura of an ex-track star on the run from gambling debts in South London. One withering look at my crappy little cheap bike and moderately hairy and skinny legs was enough for us to agree our relationship. …« (S. 77)
Im Buch wechseln die Texte der beiden und damit die (Erzähl-)Perspektive – während der Australier Chris ernsthaft versucht, auf dem Fahrrad (meistens auf dem Mountainbike) langsam eine Form zu erreichen, um das irrsinnige Unterfangen irgendwie zu überstehen (zumindest eine Etappe), besetzt der Brite Neil die Rolle des Erfahreneren, Kompetenteren. Zu Unrecht, wie sich im Verlauf der Lektüre herausstellt, denn in der Kommunikation der beiden (E-Mails) übertreffen seine Wunschvorstellungen und Fantasien die Trainings-Realität. Chris merkt davon natürlich nicht viel, sondern artikuliert seine Bewunderung für den toughen Freund (und Vorbild) mehr als einmal. Dabei verfügt Neil zwar über mehr Erfahrung auf dem Renner, dennoch hat er eine noch größeres Talent:
»What Neil lacks in athletic ability however he make s up for in buying prowess. The man is a bike retailer’s dream. Not a week goes by where he hasn’t made some sort of purchase wether it is a top of the range pair of sunglasses or a simple brake pad. He is a giant of internet shopping in particular, constantly putting the web browsing miles in and is an avid believer in quality and expense, with the emphasis on expense. Neil’s mantra is you have to buy the best, to look the best, to be the best and he lives up to this. …« (S. 11)
Da der Australier Chris mit einer Belgierin verheiratet ist, bekommt er vom Schwiegervater Lucien immer wieder Tipps, vor allem aber klare Ansagen, dass die beiden (Chris & Neil) niemals die Tour de France würden nachfahren können – noch nicht einmal eine einzelne Etappe. Chris nutzt zwei Belgien-Besuche, um mit dem Schwiegervater und dessen Freunden, allesamt rüstige Senioren, etliche Kilometer auf dem Renner zu absolvieren – bei der zweiten Runde zusammen mit Neil, eine dritte Belgienrunde drehen Chris und Neil dann alleine. Die zweite Runde (beide mit den belgischen Senioren) beschreiben beide, hier Chris’ Beschreibung des ersten Pflaster-Abschnitts:
»The sudden clanging and juddering noises from the Belgians in front indicated they were on the pave. I had a massive grin on my face when I reached the first stone. Here we go.
The grin soon turned into grimace as we shuddered along and the stony surface sent violent vibrations through bike and body. My watch band popped open. …
Dropped in the first few kilometres, with one hundred and seventy to go. Oh dear. …
By now we young athletes were a good five metres behind our sixty-year-old Belgian cycling friends and slipping further. At that point at least they weren’t aware of our slight hiccupp. Looking to the front I noticed one of the heads dart around to see where we were. It was Lud the calves. One head soon became all five heads looking at us. Great. Now we were being talked about. …
We made it through the cobbles after another few minutes. It took five minutes all up to cover only two and a half kilometres of pave on a dead flat road with no wind. Not good. At least the new road felt like a putting green.
Neil rolled up alongside me.
Bloody hell, Macman. I couldn’t stop laughing, Neil said as he reached down to tighten a shoe strap. …
Neil raised himself out of the saddle and pushed off, with me following. We quickly caught them and settled back down. My father-in-law asked me how I was going.
Gaat het, Chris?
Ja. Alles perfect. I lied. He knew. …« (S. 150 f.)
Durch die Großmäuligkeit der beiden Autoren wird die Lektüre kurzweilig und unterhaltsam – mehrmals musste ich grinsen, zuweilen auch laut loslachen –, aber sie wirkt eben durch und durch wie Jungs-Lektüre (mit zwei Ehefrauen im Hintergrund, deren Charakterisierung durch die Autoren keine Zweifel aufkommen lässt, wer letztlich die Hosen anhat). Ich bereue keine Minute der Lektüre, auch wenn meine Ziele beim Radfahren etwas andere sind, lässt sich aus den Erzählungen und Beobachtungen der beiden Autoren einiges für die eigene Praxis herausziehen bzw. mit eigenen Erfahrungen vergleichen. Das Buy the best to look the best to be the best–Mantra kann ich gut nachvollziehen (wenn auch von der anderen Seite her kommend – Billigware ist gut für den Einstieg, aber im Lauf der Zeit wird deutlich, dass Lieblingsteile, die gut funktionieren und gut aussehen, eben auch ihren Preis haben). Stutzig machte mich nur der Freudsche Versprecher der Buchverkäuferin, als ich das bestellte Buch abholte: »Ja, hier ist das Buch: Mid-Life Crisis – ist das für Dich?« …
Chris Mchutchison & Neil Blundell: Mid-Life Cyclists
Selbstverlag/Amazon Books 2013, 210 S. (engl.), ISBN 978-0-646-59093-6
*Aufmerksame Blogleserinnen und -leser haben wohl bemerkt, dass ich hier generell keine Amazon-Links biete – »support your local dealer« ist ein kleiner, aber wesentlicher Teil eines größeren (nachhaltigen) Handlungs-Puzzles, dessen Teile natürlich jede/r individuell für sich zusammensetzen kann. Das Bild, das durch das eigene Konsumverhalten entsteht, ist wahlweise das der verödeten Innenstädte mit den überall gleichen Ablegern der überall vertretenen gleichen Ketten und deren überall gleichem Angebot (mit den überall gleichen Lücken) – oder hie und da doch der Erhalt individueller, ortstypischer Infrastruktur. Klar, ich bestelle auch online, was ich vor Ort nicht bekomme, aber Preis und Lieferzeit spielen bei diesen Entscheidungen keine Rolle. Manchmal dauert schon die Kommunikation mit dem Buchhändler darüber, welche Bezugsquelle zu welchem Preis und welcher Ausgabe die beste ist, länger als die von Amazon angegebene Lieferzeit. Plus natürlich noch zwei Wochen extra – egal. Mir zumindest.
Gekauft 🙂 Sehr schön geschriebene Rezension, Jochen! Und ich liebe dieses Englisch: „ … and we agreed to table the proposal to our wives …“ Wunderbar.
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Viel Spaß mit der Lektüre, Joas!
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